13.03.2019

Exotische Sterne mit Schleudertrauma

Hyperschnelle weiße Zwerge haben Supernova überlebt.

2005 wurden sie erstmals aufgespürt: Sterne, die sich so schnell durch die Milchstraße bewegen, dass sie unsere Galaxie irgendwann verlassen werden. Trotz intensiver Suche wurden bis heute nicht mehr als zwei Dutzend solcher Hyper-Velocity-Sterne (HVS) entdeckt. Nicht eindeutig geklärt ist bislang die Frage, woher die Schnellläufer den enormen Impuls bekommen, um das Gravitationsfeld unserer Galaxie überwinden zu können. „Die bevorzugte Erklärung ist das Auseinanderreißen eines Doppel­sternsystems durch das monströse schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße“, sagt Ulrich Heber vom astronomischen Institut der FAU und einer der Entdecker der ersten HVS. „Untersuchungen der vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass das nicht der einzige Schleuder­mechanismus sein kann“, ergänzt sein FAU-Kollege Andreas Irrgang.

Abb.: Sonnenschild des Gaia-Satelliten (Bild: DLR)
Abb.: Sonnenschild des Gaia-Satelliten (Bild: DLR)

Das Gaia-Weltraumteleskop der Europäischen Weltraum­organisation ESA hat nun eine Tür aufgestoßen, den Ursprung der HVS besser zu verstehen. Die im April 2018 veröffentlichten astrometrischen Daten erlaubten es erstmals, die Bahnen der HVS in der Milchstraße dreidimensional zu vermessen und ihre Herkunft zu orten. Bei der systematischen Suche nach neuen Schnellläufern kombinierten FAU-Forscher um Roberto Raddi die Gaia-Daten mit anderen astronomischen Katalogen und machten dabei eine erstaunliche Entdeckung: Sie fanden drei HVS, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem exotischen HVS LP 40-365 zeigten, der anderen Astronomen vor zwei Jahren zufällig ins Netz gegangen war. Beobachtungen mit Großteleskopen, darunter dem Hubble-Weltraum­teleskop, an denen sich Astronomen von zehn weiteren Universitäten aus Deutschland, Großbritannien, Italien und den USA beteiligten, brachten Gewissheit: Die drei Kandidaten ähneln LP 40-365 wie ein Ei dem anderen – eine neue Klasse von HVS war gefunden worden.

Das Besondere an diesen Sternen ist vor allem ihre chemische Zusammensetzung: Sie bestehen überwiegend aus Neon und Sauerstoff und weisen keinerlei Spuren von Wasserstoff und Helium auf, wie das bei normalen Sternen der Fall ist. Wie ist das möglich? „Explosive thermo­nukleare Fusionsprozesse, etwa in einer Wasserstoff­bombe, können leichte chemische Elemente in schwere Elemente bis hin zu Eisen verwandeln“, erklärt Roberto Raddi. „In der Astronomie konnte dies tatsächlich bei Supernovae nachgewiesen werden, die durch die Explosion eines sogenannten weißen Zwergs, eines erdgroßen entarteten Sterns, ausgelöst werden. Dieser explodiert, wenn er von einem Begleitstern genügend Masse aufgesaugt hat.“

Haben die FAU-Astronomen Zombie-Zwerge aufgespürt, Überlebende einer Supernova? Bisher legten numerische Simulationen nahe, dass eine solche Explosion den weißen Zwerg komplett zerreißen würde. Der Begleiter bliebe allein zurück und würde als HVS aus der Milchstraße hinausgeschleudert. Neue Explosionsmodelle zeigen nun, dass der weiße Zwerg nicht in jedem Fall vollständig zerstört wird: Etwa zwanzig Prozent seiner Masse könnte als Rest überleben – bestehend aus den Kernfusions­produkten Neon, Sauerstoff, Magnesium, Aluminium und Elementen der Eisengruppe, beispielsweise Mangan. Und genau dieser chemische Cocktail fand sich bei den HVS vom Typ LP 40-365. Noch ungeklärt ist, warum die Relikte eines dramatischen Sternenexitus keinen Kohlenstoff enthalten, denn das müssten sie den Simulationen zufolge eigentlich. „Das ist eine der offenen Fragen, die es noch zu beantworten gilt“, sagt Roberto Raddi.

Wie aber werden die überlebenden weißen Zwerge ausgeschleudert – und was passiert mit ihren Begleitern? Die FAU-Forscher haben eine plausible Erklärung: Damit es zu einem Massenaustausch und daher zur Explosion kommen konnte, musste der Begleiter dem weißen Zwerg sehr nahe gekommen sein, wobei beide Sterne den gemeinsamen Massen­schwerpunkt mit extremer Geschwindigkeit umkreist haben. Bei seiner Explosion erfährt der weiße Zwerg einen Kick, der das Doppelsternsystem zerreißt, so dass beide Partner mit hoher Geschwindigkeit in verschiedene Richtungen auseinander­fliegen.

„Eigentlich werden also gleichzeitig zwei HVS erzeugt“, sagt Ulrich Heber. „Leider wird es sehr schwierig sein, zu einem Zombie-Zwerg auch den ehemaligen Begleitstern aufzuspüren, denn der Auswurf liegt unseren Schätzungen zufolge vierzig Millionen Jahre zurück.“ Mit seinen Untersuchungen ist es dem FAU-Team gelungen, sowohl eine neue Klasse von HVS zu entdecken, als auch einen neuen physikalischen Schleudermechanismus für HVS zu identifizieren.

FAU / DE

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