Europäische Licht-Irritationen

Streitigkeiten verzögern den Start des europäischen Vorzeigeprojekts der Laserforschung.

Meinungsverschiedenheiten insbesondere in Rumänien und Ungarn behindern die Inbetriebnahme der rund 850 Millionen Euro teuren Extreme Light Infrastructure (ELI), die seit 2012 an drei osteuropäischen Stand­orten aufgebaut wird. Im Moment ist daher unklar, wann die CERN-ähnliche internationale Betreiberorganisation gegründet werden kann. 

Um das Jahr 2005 entstand bei den Planungen für die erste Roadmap des Europäischen Strategieforums für Forschungsinfrastrukturen die Idee, „Cutting-Edge“-Laserforschung an Forschungszentren in den damals neuen EU-Mitgliedsländern Osteuropas zu betreiben. In einer Vorbereitungsphase wählte die Europäische Union mit Vertretern der Lasercommunity drei Standorte aus. 

Die ELI-Beamlines entstehen in Dolní Břežany bei Prag in Tschechien mit einem Laser mit 10 PW Spitzenleistung und Intensitäten bis zu 1024 W/cm2 für Untersuchungen in Materialwissenschaften, Biomedizin oder Astrophysik. Bei ELI-ALPS (Attosecond Light Pulse Source) in Szeged, Ungarn, sollen Attosekundenpulse im EUV- und Röntgenbereich die vierdimensionale Bildgebung von Atomhülle und Kern ermöglichen. Die Kombination zweier 10-PW-Laser mit einem extrem intensiven und quasi-monoenergetischen Gammastrahl mit bis zu 19,5 MeV Energie bei ELI-NP in Măgurele, Rumänien, soll dazu dienen, gezielt angeregte Kernzustände zu untersuchen. Der Gammastrahl entsteht dabei durch Laser-Compton-Streuung. Für eine vierte Anlage mit einem Laser von mindestens 100 PW Leistung steht noch kein Standort fest. 
 

Bisher hat nur die Anlage ELI-Beamlines in Tschechien den Nutzerbetrieb...
Bisher hat nur die Anlage ELI-Beamlines in Tschechien den Nutzerbetrieb aufgenommen. (Bild: ELI Beamlines)

Nach der Vorbereitungsphase gründeten die beteiligten Staaten das ELI Delivery Consortium (ELI-DC) als Koordinationsgremium für die Bauzeit, dem auch Italien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien angehören. Bereits letztes Jahr sollte ein European Research Infrastructure Consortium das ELI-DC als Betreiber der Großforschungseinrichtung ersetzen. Obwohl die ELI-Beamlines Ende 2018 den Nutzerbetrieb aufgenommen haben und die 10-PW-Laser bei ELI-NP betriebsbereit sind, ist der Prozess ins Stocken geraten.  

Bei ELI-NP liegt das Problem in Verzögerungen beim Aufbau des Laser-Compton-Rückstreusystems für den hochenergetischen Gammastrahl. Dafür ist ein Konsortium unter Leitung des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare in Rom verantwortlich. Seit Baubeginn traten immer wieder Verzögerungen auf, sodass Projektleiter Nicolae-Victor Zamfir nach längeren Verhandlungen dem Konsortium im Herbst den Auftrag entzogen hat. Daraufhin warf das Konsortium der rumänischen Seite Mängel am Gebäude vor, während die rumänischen Verantwortlichen erklärten, sich genau an die Vorgaben gehalten zu haben. Verschiedene Mediationsversuche scheiterten. Die nun laufende juris­tische Auseinandersetzung könnte Rumäniens Ausschluss von der künftigen Dachorganisation bedeuten. Der Kölner Kernphysiker Andreas Zilges vom BMBF-Verbundprojekt ELI-NP meint: „Es gibt aus Sicht der beteilig­ten Wissenschaftler keinen nachvollziehbaren Grund für die Verzögerungen beim Aufbau der Komponenten für das Gamma-System durch das Konsortium. Zudem sollten die bereits fertiggestellten exzellenten Anlagen für die Hochleistungslaser im Rahmen der Dachorganisation möglichst bald genutzt werden können.“ 

In Ungarn ist ein Streit über die künftige Nutzung der Anlage das Problem. Im März traten die Laserphysiker Gerhard Paulus von der Uni Jena und Reinhard Kienberger von der TU München sowie der Ungar Gyula Faigel vom International Science Advisory Committee des ELI-ALPS zurück. Grund dafür waren nicht abgesprochene Entscheidungen, u. a. der Austausch der Leitung von ELI-ALPS, ein ad-hoc-Review durch einen einzelnen, mutmaßlich befangenen Gutachter sowie neue, mit der bisherigen Ausrichtung zum Teil nicht kompatible Projekte. Laut Paulus bedrohen diese nicht unabhängig evaluierten Maßnahmen die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit und verändern den wissenschaftlichen Fokus signifikant. „Unter solchen Voraussetzungen kann ein wissenschaftlicher Beirat nicht wirken“, bedauert Paulus. Der derzeitige Leiter von ELI-DC, Allan Weeks, hält in einem Statement die neuen Projekte für kompatibel mit der gemeinsamen Mission.

Wann und in welcher Zusammensetzung sich das Konsortium gründen wird und die Anlagen in Rumänien und Ungarn den Nutzerbetrieb aufnehmen, ist derzeit nicht absehbar. 

Matthias Delbrück

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