03.05.2023 • Materialwissenschaften

Elektronik auf dem Holzweg

Computerplatinen aus Cellulosefasern – auf dem Weg zu bioabbaubarer Elektronik.

Seit vielen Jahren forscht Thomas Geiger auf dem Gebiet der Cellulose­fibrillen – das sind feine Fasern, die sich etwa aus Holz­abschnitten oder landwirt­schaft­lichen Abfällen herstellen lassen. Cellulose­fasern bergen ein hohes Potenzial für eine nachhaltige Produktion und eine Dekarboni­sierung der Industrie: Sie wachsen CO2-neutral in der Natur, verbrennen ohne Rückstände und sind sogar kompostierbar. Sie lassen sich für vielerlei Zwecke einsetzen, etwa als Faser­ver­stärkung in technischen Gummiwaren wie Pumpen­membranen.

Abb.: Versuchs­weise hat Thomas Geiger Gehäuse­teile für Computer­mäuse...
Abb.: Versuchs­weise hat Thomas Geiger Gehäuse­teile für Computer­mäuse aus Cellulose­fasern gefertigt. Die Ober­flächen glänzen wie edles Elfen­bein; die Bau­teile sind kom­plett kom­pos­tier­bar. (Bild: Empa)

Doch kann man aus Cellulose­fasern vielleicht auch Leiterplatten herstellen, die den ökologischen Fußabdruck von Computern verringern? Gerade Leiterplatten, auch Platinen oder PCBs genannt sind ökologisch alles andere als unschuldig: Sie bestehen meist aus Glasfasern, die in Expoxidharz getränkt sind. Ein solcher Verbund­werkstoff ist nicht recycling­fähig und kann bislang nur in speziellen Pyrolyse­anlagen sachgerecht entsorgt werden.

Geiger hatte bereits Computer­platinen aus Cellulose­fasern hergestellt und deren biologischen Abbau untersucht. Die Bio-Fasern ergeben mit Wasser vermischt einen dick­flüssigen Schlamm, der sich in einer Spezialpresse entwässern und verdichten lässt. Gemeinsam mit einer Kollegin stellte er zwanzig Versuchs­platinen her, die diversen mechanischen Tests unterworfen und schließlich mit elektro­nischen Komponenten bestückt wurden. Der Versuch gelang, und die Cellulose­platine gab nach wenigen Wochen in der Natur die aufgelöteten Bauteile wieder frei.

Zuvor war Geiger bereits an einem beteiligt, aus dem Gehäuseteile für Computermäuse entstanden. Die hergestellten Gehäuseteile glänzen seidig und ähneln in Farbe und Haptik Werkstücken aus Elfenbein. Doch es fand sich kein Hersteller, der die Methode übernehmen wollte. Der Preis­wett­bewerb bei Klein­elektronik ist dafür noch zu groß – und die herkömm­lichen Kunststoff-Spritzguss­verfahren sind deutlich im Vorteil.

Vor kurzem ergab sich dann die Chance, auf den bestehenden Erkenntnissen aufzubauen: Die Empa-Nachhaltig­keits­spezialistin Claudia Som wurde angefragt, ob sie am EU-Forschungs­projekt Hypelignum mitarbeiten wolle. Dieses wird vom schwedischen Material­forschungs­institut RISE geleitet und sucht nach neuen Wegen für nachhaltig produzierte Elektronik. Som zog ihren Kollegen Geiger hinzu.

Das Projekt startete im Oktober 2022. Das Forscher­konsortium, mit Beteiligung aus Österreich, Slowenien, Spanien, den Nieder­landen, Schweden und der Schweiz, plant, Öko-Leiterplatten aus verschiedenen Materialien herzustellen und zu evaluieren: Neben nano­fibril­lierter Zellulose wird als Basis Holzwolle und Zellstoff aus Pappelholz untersucht; auch Holzfurnier kommt als Basis für die Platinen zum Einsatz.

Zwei Forschungsabteilungen der Empa arbeiten am Projekt mit: Zum einen die Nachhaltig­keits­spezialisten um Som von der Abteilung „Technologie und Gesellschaft“. Som wird mit Hilfe von Material-Datenbanken den ökologischen Fußabdruck der Öko-Leiterplatten berechnen und die einzelnen Konzepte unter­ein­ander vergleichen.

Geiger von der Abteilung „Cellulose & Wood Materials“ wird aus nach­wachsenden Rohstoffen die Leiterplatten herstellen. Grüne Elektronik ist schon seit längerem ein Forschungs­schwer­punkt der Abteilung, die von Gustav Nyström geleitet wird. Das Team hat bereits diverse gedruckte Elektronik­komponenten aus bioabbau­baren Materialien entwickelt, etwa Batterien und Displays. Die Anforderungen an industriell hergestellte Computer­platinen sind indes nicht trivial: Die Platinen müssen nicht nur eine hohe mechanische Festigkeit aufweisen, sondern dürfen auch in feuchten Bedingungen nicht aufquellen oder bei sehr niedriger Luft­feuchtig­keit Risse bilden.

„Cellulosefasern können eine sehr gute Alternative zu Glasfaser-Verbund­werk­stoffen sein“, erläutert Geiger. „Wir entwässern das Material in einer Spezialpresse mit 150 Tonnen Druck. Dann kleben die Cellulose­fasern ohne weitere Hilfsstoffe von allein zusammen.“ Das Entscheidende dabei ist, bei welchem Druck, welcher Temperatur und für wie lange der Pressprozess stattfinden muss, um optimale Ergebnisse zu erzeugen.

Das EU-Projekt Hypelignum hat weitge­steckte Ziele: Es soll nicht nur Leiterplatten aus nach­wachsenden und kompostier­baren Rohstoffen untersuchen, sondern auch leitfähige Tinten für die elektrischen Verbindungen zwischen den Bauteilen entwickeln. Diese Tinten werden oft basierend auf Silber-Nanopartikeln hergestellt. Die Forscher suchen nach preis­günstigeren und weniger raren Ersatz­materialien, ebenso wie nach einer ökologischen Produktions­methode für diese Nanopartikel.

Am Ende des Projekts sollen vier Demonstratoren die erreichten Forschungs­ergebnisse sichtbar machen: eine ökologisch vorbildliche Leiterplatte, ein großes Konstruktions­element aus Holz, das mit Sensoren und Aktuatoren bestückt wird, Möbelstücke, die in einer automati­sierten Fertigungs­straße mit Sensoren bestückt werden und schließlich ein Demonstrator, der die Recycling­fähigkeit all dieser Bauteile beweist.

Empa / RK

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