07.10.2022

„Die grundsätzlichen Botschaften sind nicht wirklich verstanden“

Der frischgebackene Nobelpreisträger Anton Zeilinger sagte bereits vor Jahren die Entwicklungen der Quanteninformationsverarbeitung voraus, wie dieses Interview in „Physik in unserer Zeit“ belegt.

Im Herbst 2008 demonstrierten in Wien mehrere Forschungsteams erfolgreich die Übertragung von Live-Videoschaltungen über ein quanten­krypto­graphisches Netzwerk. Siemens Österreich stellte dafür ein Netz von sieben Glas­faser­verbindungen mit bis zu 85 km Länge zur Verfügung. Hintergrund ist ein EU-Forschungs­programm, das diese absolut abhörsichere Kommunikations­technik zugänglich machen soll. Eine 16-km-Verbindung auf Basis von verschränkten Photonen hatte Anton Zeilingers Team von der Universität Wien entwickelt. Ihn interviewte Physik in unserer Zeit am Tag nach der Demonstration.

 

Abb.: Anton Zeilinger ist Professor für Experimental­physik an der...
Abb.: Anton Zeilinger ist Professor für Experimental­physik an der Universität Wien und Mitglied der Öster­reichischen Akademie der Wissen­schaften, seit 2014 auch der amerikanischen National Academy of Sciences. 2010 erhielt er ge­meinsam mit Alain Aspect und John Clauser den Wolf-Preis für Physik, 2022 teilt er sich mit den beiden den Nobel­preis für Physik.

Physik in unserer Zeit: Sind Sie zufrieden mit der Netzwerk-Demonstration?

Anton Zeilinger: Die Quanten­kryptographie funktioniert technisch schon einwandfrei. Ob sie aber einen breiten Markt findet, da bin ich noch skeptisch. Generell ist meiner Meinung nach jedoch die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass wir in Zukunft eine Quanten­informations­technologie haben werden. Die Konzepte sind klar und einfach, und die gesamte Technologie läuft in diese Richtung.

Sie sehen also eher andere Anwendungsgebiete?

Wie diese Technologie aussehen wird, wissen wir heute noch nicht. Es ist das Gleiche wie zur Zeit der Erfindung des Lasers. Einer der Väter des Lasers sagte mir mal, dass ihm damals nur eine Anwendung eingefallen ist: einen Luftballon innerhalb eines anderen zum Platzen zu bringen.

Quantenphysik hat über Laser und Elektroniken längst den Alltag erobert. Die Quanten­informations­technik hantiert nun jedoch mit einzelnen Quanten­systemen, was fundamental neu ist. Was interessiert Sie daran besonders?

Der große Zusammenhang. Als die Quantenphysik entstand, stieß man darauf, dass ihre Vorhersagen für einzelne Quantensysteme wirklich kontraintuitiv sind. Es gab plötzlich den reinen Zufall, die als Schrödingers Katze berühmte Überlagerung von Quanten­zuständen und die Verschränkung. Solche Gedanken­experimente wurden damals als Kritik an der Quantentheorie formuliert. Seit den sechziger, siebziger Jahren können wir aber diese Experimente zunehmend machen, und sie zeigen, dass die Quantenwelt tatsächlich so ist!

Die Quantenmechanik lässt sich präzise anwenden, aber verstehen wir ihre Konsequenzen?

Die grundsätzlichen Botschaften hat man noch nicht wirklich verstanden. Was sie für das Konzept einer physikalischen Wirklichkeit bedeuten, ist noch unklar. Man muss sie aber auch nicht verstehen, um damit arbeiten zu können. Sie können Quantensysteme mathematisch schön präzise beschreiben, und die Dinge führen plötzlich zur Anwendung. Das finde ich aufregend!

Das gilt gerade für die verschränkten Quantensysteme. Wie würden Sie Physikstudenten die Verschränkung erklären?

Das Besondere an verschränkten Systemen ist, dass das Ergebnis einer Messung für die einzelnen Teilsysteme überhaupt nicht feststeht – aber für das verschränkte Gesamtsystem ist es absolut festgelegt. Ich versuche immer, das mit Quantenwürfeln zu veranschaulichen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten zwei verschränkte Würfel und würden diese werfen. Der Wurf entspricht einer physikalischen Messung. Bei vielen Würfen würden Sie feststellen, dass jeder Würfel wie erwartet eine Reihe zufälliger Zahlen produziert. Der zweite Würfel produziert jedoch überraschender­weise genau die gleiche Zahlenfolge.

Es gibt aber keine Kraft, keine Kommunikation zwischen den Würfeln?

Nein. Wir wissen heute, dass es keinen verborgenen Mechanismus in den Würfeln gibt. Das heißt, es gibt vollkommen zufällige Ereignisse, die aber immer gleich ausfallen. Das ist absolut erstaunlich!

Das spielt sich ja nicht nur in der Mikrowelt ab. Ihre Gruppe hat verschränkte Lichtquanten über 140 Kilometer voneinander getrennt und an ihnen solche Quantenwürfel-Messungen durchgeführt: Offenbar können diese Objekte in unserer makroskopischen Welt existieren?

Nach der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik ist das ausgedehnte Objekt nur eine mathematische Konstruktion. Es sind aber tatsächlich makroskopische Apparate. Die Zahlen, die sie an den beiden Photonen messen, sind auch nach über hundert Kilometern genau die gleichen. Ich bin überzeugt davon, dass wir noch viel größere Systeme miteinander verschränken können, zum Beispiel Moleküle.

Das heißt, wenn man solche Quantensysteme gut genug präparieren kann, bekommt man all die Effekte, die unserem Alltags­verstand widersprechen, im Großen?

Das erwarte ich. Dazu muss man lernen, wie man die relevanten Freiheitsgrade von der Umgebung abschirmt. Früher meinte man, man muss die Systeme vollkommen von der Umgebung abschirmen, aber das ist nicht richtig. Da ist noch einiges drin, glaube ich.

Sie haben vor einigen Jahren gesagt, dass man in der Quantenphysik viel zu wenig radikal denkt. Sind Sie radikaler geworden?

Ich versuche, radikal zu denken und auch meine Mitarbeiter dazu zu bringen. Das Problem ist, wie erfinde ich neue Experimente? Da muss man von irgendeiner Intuition ausgehen, die einem sagt, was interessant ist. Und da ist man schon gefangen, denn da geht es wieder um eine Anschaulichkeit. Es mag sein, dass das ein Hindernis ist.

Da beißt sich die Katze doch in den Schwanz: Nach der Kopenhagener Interpretation darf man keine solche Vorstellung eines ausgedehnten Quanten­objekts haben, auf der anderen Seite muss man das, um als Experimentator damit zu arbeiten…

Man muss eine solche Vorstellung entwickeln und auf der anderen Seite genau wissen, wo dieses Bild zusammenbricht.

Das heißt, Sie arbeiten mit ausgefeilten Hilfsbildern?

Anders geht es nicht! Ich sehe das ja an den jungen Leuten, die entwickeln nach ein paar Monaten hier eine schöne Intuition. Das ist übrigens auch ein Hinweis für mich darauf, dass Denken nicht an Sprache gebunden ist. Die Leute haben zum Teil Intuitionen, die es ihnen schwer machen, das in Worte zu fassen. Ich habe es schon erlebt, dass Leute eine Intuition für ein schönes Experiment haben, das auch läuft, aber sie liefern eine vollkommen falsche Erklärung dafür.

Das ist ja schon Albert Einstein passiert, als er die Unvollständigkeit der Quanten­mechanik beweisen wollte – und damit erst die Ideen für die heute verwirklichten Experimente in die Welt setzte.

Wobei man von Einstein nicht sagen kann, dass er die Quantenphysik nicht verstand. Er war nur in seiner Interpretation sehr konsequent und klar. Obwohl er am Ende nicht recht hatte, wird ihm sehr oft unrecht getan. Wenn man Einsteins Argumentation in der Publikation zusammen mit Rosen und Podolsky durchliest – das hat was.

Das ist die berühmte Arbeit von 1935, in der die Drei die jeglicher Intuition widersprechenden Eigenschaften ausgedehnter, verschränkter Objekte herausarbeiteten. Muss man sich doch vorstellen, dass solche verschränkten Quantensysteme ein Ganzes mit „nichtlokalen“ Eigenschaften bilden?

Das wäre eine Erklärung, dass zum Beispiel zwei solcher Teilsysteme ein Objekt sind. Wenn ich eine Messung an einem Teilsystem mache, dann hat das natürlich Konsequenzen für Messungen am anderen Teilsystem weit weg. Aber das ist nur ein Sprachspiel, das den Begriff „nichtlokales Objekt“ einsetzt.

Solche verschränkten Objekte kollabieren bei einer Manipulation sofort, also mit Überlichtgeschwindigkeit, was im Widerspruch zur Relativitätstheorie steht. Trotzdem lassen sich damit keine Nachrichten mit Überlicht­geschwindigkeit senden?

Ja, weil die Einzelereignisse zufällig sind. Ich kann nicht beeinflussen, was für ein Messresultat ich hier an meinem Teilsystem bekomme. Ich weiß zwar, dass mein Kollege da drüben das gleiche Resultat bekommt. Aber darin ist eben keine Nachricht enthalten, weil die Messergebnisse zufällig sind.

Hier rettet also ausgerechnet die Quantentheorie die Situation, die sonst überhaupt nicht mit der Relativitäts­theorie zusammenpasst. An der Zusammen­führung der beiden großen Theorien beißen sich ja die Quanten­gravitations­theoretiker, etwa die Stringtheoretiker, seit Jahrzehnten die Zähne aus.

Ich glaube nicht, dass die Lösung aus so einer Ecke kommen kann, sondern da geht es um grundsätzliche Neuformulierungen unserer Ideen von Raum und Zeit. Allein die Tatsache, dass die intelligentesten unter den Physikern überhaupt, die an solchen Theorien arbeiten, seit über siebzig Jahren noch keine Lösung gefunden haben, zeigt mir, dass wir etwas fundamental anderes suchen müssen. Es kann nicht um irgendwelche formalen neuen Konzepte gehen – es geht um konzeptionell Neues. Aber was es sein wird, weiß ich nicht.

Das Interview führte Roland Wengenmayr im Herbst 2008 am Physikalischen Institut der Universität Wien.

 

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