08.11.2019

Deutschlands Weg in den Orbit

Vor fünfzig Jahren startete der erste deutsche Satellit AZUR, um die kosmische Strahlung und den Sonnenwind zu untersuchen.

Vor genau fünfzig Jahren, am 8. November 1969, startete der erste deutsche Satellit AZUR an Bord einer ameri­kanischen Scout-Rakete aus Vandenberg, Kalifornien. Das eigens in Oberpfaffen­hofen errichtete Deutsche Raumfahrt­kontrollzentrum (GSOC, German Space Operations Center) übernahm eine Woche später die Betriebs­verantwortung von AZUR. Damit stieg die Bundesrepublik Deutschland in die Riege der Nationen auf, die über einen Satelliten verfügten wie bereits die USA, die Sowjetunion, Groß­britannien, Italien, Frankreich, Kanada, Japan und Australien.

Abb.: Vor fünfzig Jahren startete der erste deutsche Forschungs­satelliten...
Abb.: Vor fünfzig Jahren startete der erste deutsche Forschungs­satelliten AZUR. (Bild: DLR)

Die Mission AZUR – auch als GRS A oder GRS 1 für German Research Satellite bekannt – wurde von der Deutschen Forschungs- und Versuchs­anstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR), dem heutigen Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), in Kooperation mit der US-ameri­kanischen Raumfahrt­behörde NASA durchgeführt. „Rund um AZUR herrschte eine unglaublich enthusiastische Stimmung. Es war ein Abenteuer, das wir alle zum Erfolg bringen wollten – und wir haben es geschafft. Wir konnten zeigen, dass auch Deutschland zu einer Satelliten­mission fähig ist“, erinnert sich Zeitzeuge und ehemaliger DLR-Mitar­beiter Dieter Sundermann. Als wissenschaft­licher Mitarbeiter war er für den Aufbau, Test und die Inbetriebnahme der Polaren Deutschen Boden­station von AZUR zuständig. Die Zentralstation des Deutsche Boden­statio­nsystems (ZDBS) war in Lichtenau beheimatet, dem heutigen DLR-Standort Weilheim.

Der Forschungs­satellit sollte den Wissen­schaftlern die Möglichkeit geben, die Natur­vorgänge auf der Erde sowie in der Umgebung unseres Planeten besser zu untersuchen und zu verstehen. Insgesamt wurden sieben Experimente ausgewählt, um die kosmische Strahlung, den Sonnenwind und deren Wechselwirkung mit der Magneto­sphäre, sowie die Polarlichter zu untersuchen. Ebenso war es Ziel der Mission, die notwendigen technischen Fähigkeiten in Deutschland auszubauen, um an weiteren nationalen und inter­nationalen Weltraum­vorhaben teilzunehmen.

Die Kosten trugen die Partner gemeinsam: Das Bundes­ministerium für wissen­schaftliche Forschung beauftragte die Gesellschaft für Weltraumforschung (GfW) in Bonn mit der Projektleitung von AZUR. Indus­trieller Haupt­auftragnehmer und Systemführer war die Firma Messer­schmitt-Bölkow-Blohm GmbH – heute Airbus Defence & Space. Die Gesamtkosten für die Entwicklung des Satelliten, den Betrieb und das zugehörige Bodensystem beliefen sich auf rund achtzig Millionen Deutsche Mark. Der Partner USA trug die Kosten für die Trägerrakete, den Start sowie die NASA-Boden­stationen, die bis zur Übernahme durch das Deutsche Raumfahrt­kontrollzentrum (GSOC) die frühe Phase der Mission überwachten.

Der Erdtrabant war für eine Lebenszeit von einem Jahr ausgerichtet. Die wissenschaftliche Zielsetzung des Projekts stellte erhebliche Anforderungen an die elek­tronische Ausstattung des Satelliten. Die Mission war technisch hochkomplex und erwies sich auch in der Durchführung als anspruchsvoll. Fünf Wochen nach Start fiel das Magnetband-Speicher­gerät aus, so dass die Messwerte und Kontroll­daten vorerst nur als Echtzeit-Informationen übertragen wurden. Durch die zahlreichen kleinen Boden­stationen konnten dennoch rund achtzig Prozent der Daten empfangen werden. Am 29. Juni 1970 brach die Verbindung zu AZUR aus ungeklärten Gründen ab. Mit einer Betriebszeit von rund acht Monaten wurde der erste deutsche Satellit zwar nicht allen Erwartungen gerecht, dennoch werteten Politik, Forschung und Industrie die Durchführung des ersten deutschen Langzeit­unternehmens im All als großen Erfolg.

Die aus der Mission gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse waren wesentlich für die weitere Entwicklung Deutschlands als Raumfahrt­nation: AZUR eröffnete der Wissenschaft in Deutschland neue Horizonte und schuf neue Wege in der Weltraum­forschung. Auch die deutsche Industrie konnte erstmals an einem nationalen Raumfahrtprojekt mitwirken und ihr Know-how im Management von Weltraum­missionen weiter ausbauen. AZUR bildete außerdem den Grundstein für eine bis heute anhaltenden Zusammenarbeit zwischen der deutschen und amerikanischen Weltraum­forschung. Die USA schätzten die Zuverlässigkeit der bundes­deutschen Industrie und die wissenschaftliche Exzellenz der deutschen Forschungs­landschaft. Sie nutzten die Zusammenarbeit ferner dazu, ihr positives, offenes Image auszubauen und sich damit in Zeiten des Kalten Krieges klar von der Sowjetunion abzugrenzen.

Als hochkomplexe Mission hat AZUR die beteiligten Forschungs­einrichtungen und Unternehmen immer wieder bis an die Grenzen gefordert – und somit solide für künftige Aufgaben vorbereitet. In den folgenden Jahrzehnten erar­beitete sich Deutschland einen Spitzenplatz in der Raumfahrt. Entsprechend ist das Deutsche Raumfahrt­kontroll­zentrum GSOC in Oberpfaffen­hofen heute auch die zentrale Einrichtung für den Betrieb von nationalen und internationalen Raumfahrt­missionen und kann auf über siebzig Missionen seit dem AZUR-Start zurückblicken.

DLR / JOL

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