10.03.2023

Der Symmetrieverletzer

Der amerikanische Physik-Nobelpreisträger Val Fitch wurde vor 100 Jahren geboren.

„Die Entdeckung der CP-Verletzung durch Cronin und Fitch hat viele neue Fragen zum Verständnis der Naturgesetze aufgeworfen. Sie ist eine der großen Landmarken in der Geschichte der Physik“, schrieb der Teilchenphysiker Klaus Winter 1980 anlässlich der Verleihung des Physik-Nobelpreises an James Cronin und Val Fitch. Erstmals gemessen hatten die beiden Amerikaner die CP-Verletzung beim Zerfall von neutralen K-Mesonen 1964 am Brookhaven National Laboratory. Dass ihre Entdeckung erst 16 Jahre später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, zeigt, wie schwer sich die Community damit tat, das unerwartete Phänomen zu akzeptieren. Denn Symmetrien sind seit jeher wichtige Wegweiser beim Auffinden von Naturgesetzen.

Val Fitch (Photograph by Clem Fiori, courtesy AIP Emilio Segrè Visual...
Val Fitch (Photograph by Clem Fiori, courtesy AIP Emilio Segrè Visual Archives, W. F. Meggers Gallery of Nobel Laureates Collection)

Val Logsdon Fitch wurde am 10. März 1923 auf einer Rinderfarm in Nebraska geboren, unweit der Grenze zu South Dakota. Die Farm lag etwa 40 Meilen nordwestlich der Stelle, an der 20 Jahre zuvor die Schlacht von Wounded Knee stattgefunden hatte. Sein Vater musste die Arbeit nach einem Reitunfall aufgeben. Die Familie zog kurz nach der Geburt von Val in das 25 Meilen entfernte Gordon, wo sein Vater in der Versicherungsbranche arbeitete. Beeindruckt hat den Jungen, dass die Ranch, die weiterhin im Familienbesitz blieb, in der Nähe des Reservats der Sioux-Indianer lag. Sein Vater konnte deren Sprache sprechen. „Sie erkannten sein freundschaftliches Interesse für sie an und ernannten ihn zum Ehrenhäuptling“, schreibt Fitch in seinen biographischen Erinnerungen für die Nobel Foundation.

Während des Zweiten Weltkriegs musste Fitch sein 1943 begonnenes Studium an der Northwestern University in Illinois unterbrechen. Nach seiner Grundausbildung als Soldat durchlief er mit 200.000 anderen Soldaten ein spezielles Trainingsprogramm am Carnegie Institute of Technology, in dem die Army jungen Offizieren technische Kenntnisse vermittelte. Das Programm musste nach weniger als einem Jahr aufgelöst werden, weil die Armee Soldaten benötigte. Fitch gehörte zu den etwa hundert Glücklichen, die nicht an die Front, sondern nach Los Alamos geschickt wurden.

Die Zeit im Manhattan Project war die prägendste Phase in seiner wissenschaftlich-technischen Ausbildung. Die Arbeit im Labor des britischen Kernphysikers Ernest Titterton empfand Val Fitch als sehr anregend. Er lernte von bedeutenden Physikern wie Enrico Fermi, Niels Bohr, James Chadwick, Isidor Rabi und Richard Tolman. „Ich stellte fest, dass die fähigsten Experimentatoren auch diejenigen waren, die am meisten über Elektronik wussten […]. Vor allem aber lernte ich, bei der Messung neuer Phänomene nicht nur die Verwendung vorhandener Geräte in Betracht zu ziehen, sondern dem Geist freien Lauf zu lassen und neue Wege zu erfinden, um die Aufgabe zu lösen“, erinnert sich Fitch. Er war Augenzeuge, als am 16. Juli 1945 die erste Atombombe in der Wüste von Alamogordo gezündet wurde. Nach Kriegsende arbeitete er noch ein Jahr als Zivilist in Los Alamos.

Auf Empfehlung Tittertons holte er seinen Bachelorabschluss in Elektrotechnik (electrical engineering) 1948 an der McGill University in Quebec, Kanada, nach und ging dann – über Kontakte aus seiner Zeit am Manhattan Project – an die Columbia University in New York, wo der spätere Nobelpreisträger James Rainwater sein Doktorvater wurde. Eines Tages gab Rainwater ihm einen Artikel von John Wheeler zu lesen. Wheeler zeigte darin auf, dass die spektroskopische Untersuchung myonischer Atome präzise Rückschlüsse auf den Kernradius erlaubt. Eine Schwierigkeit dabei war, dass die emittierte Strahlung im hochenergetischen Bereich der Gammastrahlen lag und es für diese noch keine geeignete Nachweismethoden gab. Rainwater schlug dieses Thema als Doktorarbeit vor.

Fitch profitierte davon, dass zu dieser Zeit das Nevis Zyklotron der Columbia University ans Netz ging, an dem Pionen entstanden, die zu Myonen zerfielen. Außerdem hatte Robert Hofstadter gerade nachgewiesen, dass Natrium-Jodid-Szintillations-Detektoren sich gut zum Nachweis von Gammastrahlen eignen. Fitch konstruierte nun einen Multi-Kanal-Impulshöhenanalysator, in den seine Erfahrungen aus Los Alamos einflossen. Beinahe wären ihm die Strahlen jedoch entgangen, weil er sie bei der kalkulierten Energie von 4,5 MeV suchte. Nach mehreren frustrierenden Tagen im Labor habe Rainwater vorgeschlagen, den Beobachtungsbereich zu vergrößern. Nun fand er den Peak bei 6 MeV.  Die von Fitch in seiner Dissertation entwickelte Methode ist heute aktueller denn je. Sie führte vor wenigen Jahren zur bisher präzisesten Messung der Protonenradius.

Val Fitch wechselte nach Abschluss seiner Dissertation auf eine Professur an der Princeton University, wo er sich in den nächsten 20 Jahren mit K-Mesonen beschäftigte und 1964 seine nobelpreiswürdige Entdeckung machte. Cronin und Fitch arbeiteten zusammen am Brookhaven National Laboratory und spielten nachts zusammen Bridge, während sie auf ihre Messzeit am Cosmotron warteten. Cronin hatte einen Funkenkammer-Detektor gebaut und Fitch erkannte, dass er sich gut für die Untersuchung von K-Mesonen eignen würde. K-Mesonen sind gebundene Zustände aus jeweils einen Quark und einem Anti-Quark. Sie entstehen bei der starken Wechselwirkung hochenergetischer Protonen. Der Strahl enthält kurzlebige K1-Mesonen (K-short in heutiger Nomenklatur) und langlebige K2-Mesonen (K-long).

James Cronin ( 2. v. l.) und Val Fitch (3. v. l.) bei der Verleihung des...
James Cronin ( 2. v. l.) und Val Fitch (3. v. l.) bei der Verleihung des Research Corporate Awards 1967 (Foto: AIP Emilio Segrè Visual Archives, Physics Today Collection)

Als Cronin und Fitch ihre Messungen begannen, wusste man bereits, dass K1 unter anderem in zwei Pi-Mesonen zerfallen, während K2 immer nur in drei Pi-Mesonen zerfallen. Die Zerfälle in zwei bzw. drei Pionen sind somit eindeutige Signaturen für K1 oder K2: Unter Anwendung der CP-Transformation sind sowohl K1 und K2 als auch die 2-Pi- bzw. 3-Pi-Zustände Eigenzustände. Sie sind ihre eigenen Anti-Zustände. (Die CP-Transformation ist eine Kombination aus Ladungsvertauschung und Raumspiegelung - was einem Teilchen-Antiteilchenspiegel entspricht.) Nun stellte sich aber heraus, dass 2-Pi-Zerfälle auch noch messbar waren, nachdem die K1-Mesonen schon zerfallen waren. Nach einigem Zögern interpretierten Cronin und Fitch ihr Ergebnis als eine Verletzung der CP-Symmetrie beim Zerfall neutraler Kaonen.

Ihre Veröffentlichung in den Physical Review Letters 1974 löste heiße Diskussionen aus. Denn die Verletzung der CP-Invarianz war viel schwieriger zu akzeptieren als die 1957 von Lee und Yang gemessene Paritätsverletzung beim Beta-Zerfall. Die CP-Transformation galt als fundamental, weil die physikalischen Gesetze für Teilchen und Anti-Teilchen gleich sind sollten. Mit dem Experiment von Cronin und Fitch zeigte sich nun, dass sich die Teilchen- und Antiteilchen-Welten doch voneinander unterscheiden lassen.

Val Fitch traf mitten in den entscheidenden Experimenten ein harter Schicksalsschlag: 1972 starb seine Ehefrau Elise, mit der er seit 1949 verheiratet gewesen war. Sie hinterließ den 51-Jährigen mit zwei Söhnen. 1976 heiratete er Daisy Harper, die drei Kinder mit in die Ehe brachte. Auch neben der Physik war Val Fitch aktiv und pflegte Hobbys wie Bonsaizucht, Brotbacken und Scrabble-Spielen. Seine Sommerferien verbrachte er im kanadischen New Schottland, wo er ein erfahrener Segler wurde. Am 5. Februar 2015 starb er im Alter von 91 Jahren in Princeton.

Sein physikalisches Credo fasste Fitch folgendermaßen zusammen: „Es gibt eine natürliche Tendenz unter Physikern, zu glauben, dass wir die wesentlichen Bestandteile einer umfassenden Theorie bereits kennen. Doch jedes Mal, wenn wir eine neue Grenze der Beobachtung überschreiten, entdecken wir unweigerlich neue Phänomene, die uns zwingen, unsere bisherigen Vorstellungen wesentlich zu ändern. Ich glaube, dass dieser Prozess nicht enden wird, dass die Freuden und Herausforderungen unerwarteter Entdeckungen immer weitergehen werden.“

Für lange Zeit sollte das K0-System das einzige Teilchensystem bleiben, in dem CP-Verletzung auftrat. Doch Fitch sollte Recht behalten: Im Jahr 2001 ist den Experimenten BABAR und BELLE der Nachweis der CP-Verletzung bei neutralen B-Mesonen gelungen. 2019 bestätigte das LHCb-Experiment am CERN erstmalig die CP-Verletzung auch für D-Mesonen.

Anne Hardy
 

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