02.04.2020 • Biophysik

Der Dübel der Biophysik

Mechanische Stabilität einer wichtigen Molekül-Verbindung untersucht.

Mechanische Kräfte beeinflussen viele biologische Systeme, etwa wenn Muskel­zellen kontrahieren und sich wieder ausdehnen. Auch bestimmte zelluläre Signal­kaskaden – beispiels­weise bei der Auto­regulation von Gefäßen – werden durch mechanische Kräfte in Gang gesetzt. Um die molekularen Mechanismen solcher Prozesse zu untersuchen, analysieren Wissen­schaftler das Verhalten von Biomolekülen unter mechanischem Stress. Biophysiker der Uni München um Hermann Gaub haben in Kooperation mit dem Physiker Rafael Bernardi von der University of Illinois in den USA jetzt ein wichtiges Werkzeug für solche Analysen detailliert untersucht und gezeigt: Die Geometrie des Werkzeugs wirkt sich auf dessen Stabilität aus und sollte für einen optimalen Einsatz berück­sichtigt werden.

Abb.: Streptavidin besteht aus vier identischen Untereinheiten (grün, blau,...
Abb.: Streptavidin besteht aus vier identischen Untereinheiten (grün, blau, gelb und rot), in die jeweils ein Biotin Molekül (bunte Kugeln) binden kann. Im Experiment wird Streptavidin an einem der Ankerpunkte (einzelne gelbe Kugel) festgehalten, während ein Biotin-Molekül aus einer der Bindungstaschen gezogen wird. (Bild: R. C. Bernardi, U. Illinois)

Wie Biomoleküle auf mechanische Kräfte reagieren, unter­suchen Biophysiker mit der Einzel­molekül-Kraft­spektro­skopie. Dabei wird das zu unter­suchende Biomolekül zwischen zwei anderen Molekülen befestigt und dann der Abstand zwischen diesen langsam vergrößert. Ein beliebtes Werkzeug für die Befestigung von Biomolekülen ist die Interaktion des Vitamins Biotin mit dem Protein Streptavidin. „Dieses Rezeptor-Liganden-System ist quasi der Fischer-Dübel der Biophysik“, sagt Team-Mitglied Steffen Sedlak.

Das zu untersuchende Biomolekül bindet dabei an Biotin, das wiederum mit hoher Affinität an Streptavidin bindet. Die mechanische Stabilität der Inter­aktion von Biotin und Streptavidin spielt für die Experimente eine wichtige Rolle. Nachdem Gaub das System vor 25 Jahren erstmals kraft­spektro­skopisch unter­sucht hatte, wurde sie in zahl­reichen Labors auf der ganzen Welt gemessen. Dabei waren die Ergebnisse unein­heit­lich und erstreckten sich über einen recht großen Bereich. Die Gründe dafür haben die Wissen­schaftler jetzt untersucht.

Streptavidin besteht aus vier gleichen Unter­einheiten, die man sich als zylinder­förmige Hohl­räume vorstellen kann. In jedes dieser „Fässer“ kann ein Biotin-Molekül binden. Wie bei echten Fässern gibt es auch für die Streptavidin-Unter­einheiten einen Deckel. Dieser schließt sich, sobald Biotin gebunden hat. Dann ragt nur noch ein Ende von Biotin durch eine kleine Öffnung aus dem Fass, an diesem Ende ist das zu unter­suchende Biomolekül befestigt.

Für ihre Untersuchungen entwarfen die Wissen­schaftler spezielle Streptavidin-Varianten, die jeweils nur mit einer bestimmten Unter­einheit Biotin binden konnten – die rest­lichen drei Fässer blieben dabei leer. Um die Stabilität der Bindung zu unter­suchen, zogen die Wissen­schaftler dann einzelne Biotine aus dieser Tasche „Dabei haben wir entdeckt, dass unter­schiedlich viel Kraft benötigt wird, je nachdem, aus welchem der vier Fässer Biotin heraus­gezogen wird – und das obwohl die vier Bindungs­taschen exakt gleich sind“, sagt Gaub.

Mithilfe aufwändiger Computer­simula­tionen gelang es den Wissen­schaftlern, die Ursache dieser Unter­schiede aufzu­klären: Die Bindungs­taschen nehmen relativ zu dem Punkt, an dem die Zugbelastung ansetzt, unter­schied­liche Positionen ein. Daraus ergeben sich verschiedene Zuggeometrien: Besonders leicht gibt die Bindung nach, wenn Biotin bei Belastung gegen den flexiblen Deckel des Fasses drückt. Wird die Bindung jedoch an anderen Stellen belastet, kann das System sehr hohe Kräfte aushalten. Die Wissen­schaftler sind davon überzeugt, dass ihre Erkennt­nisse dazu beitragen werden, Streptavidin zukünftig optimal einzu­setzen – nun kann der molekulare Dübel so befestigt werden, dass er mechanisch besonders stabil ist.

LMU / RK

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