25.06.2020

Das All im Röntgenblick

Erste vollständige Durchmusterung mit eRosita verdoppelt die Zahl bekannter Röntgenquellen.

Nach 182 Tagen hat das Röntgenteleskop eRosita an Bord der SRG-Raumsonde seine erste vollständige Durch­musterung des Himmels abgeschlossen. Diese neue Karte des heißen, energie­reichen Universums enthält mehr als eine Million Objekte – damit verdoppelt sich in etwa die Zahl der bekannten Röntgen­quellen, die in der bislang sechzigjährigen Geschichte der Röntgen­astronomie entdeckt wurden. Bei den meisten der neuen Quellen handelt es sich um aktive galaktische Kerne bei kosmologischen Entfernungen, die das Wachstum gigantischer schwarzer Löcher im Laufe der kosmischen Zeit markieren. Galaxienhaufen in der neuen Karte werden genutzt, um das Wachstum kosmischer Strukturen nach­zuverfolgen und kosmologische Parameter einzuschränken. Näher an unserer kosmischen Heimat befinden sich Sterne mit einer heißen Corona, Doppelsterne und Supernova-Überreste in unserer Galaxie. Zudem haben die Astronomen jetzt eine vollständige Karte der heißen Baryonen in der Milchstraße, was nur mit der 360-Grad-Ansicht der eRosita-Himmelskarte möglich ist.

Abb.: Das energie­reiche Universum, gesehen mit dem Röntgen­teleskop eRosita...
Abb.: Das energie­reiche Universum, gesehen mit dem Röntgen­teleskop eRosita (Bild: J. Sanders, H. Brunner, eSASS team, MPE / E. Churazov, M. Gilfanov, IKI)

Eine Million Röntgenquellen, die die Natur des heißen Universums offenbaren - das ist der beeindruckende Ertrag der ersten vollständigen Himmels­durch­musterung mit dem eRosita-Teleskop an Bord der SRG-Raumsonde. „Dieses Bild des kompletten Himmels ändert völlig die Art und Weise, wie wir das energiereiche Universum betrachten“, sagt Peter Predehl, der leitende Wissenschaftler von eRosita am Max-Planck-Institut für extra­terrestrische Physik (MPE). „Wir sehen einen enormen Reichtum an Details – die Schönheit der Bilder ist wirklich überwältigend.“

Die erste vollständige Himmelsdurchmusterung von eRosita ist etwa viermal tiefer als die vorherige Karte des gesamten Röntgen­himmels durch das Rosat-Teleskop vor dreißig Jahren und liefert etwa zehnmal mehr Quellen: etwa so viele, wie von allen bisherigen Röntgen­teleskopen zusammen entdeckt wurden. Und während die meisten Klassen astronomischer Objekte Röntgen­strahlen aussenden, sieht das heiße und energie­reiche Universum ganz anders aus als durch optische oder Radio­teleskope. Außerhalb unserer Heimat­galaxie sind die meisten eRosita-Quellen aktive Kerne von Galaxien in kosmologischen Entfernungen, bei denen supermassereiche schwarze Löcher Materie akkretieren. Daneben gibt es auch Galaxien­haufen, die als ausgedehnte Röntgenhalos erscheinen und dank des heißen Gases leuchten, das in den riesigen Ansammlungen aus dunkler Materie eingeschlossen ist. Das Bild des gesamten Himmels enthüllt aber auch die Struktur des heißen Gases in der Milchstraße selbst bis ins kleinste Detail sowie das zirkum­galaktische Medium, das sie umgibt und dessen Eigenschaften für das Verständnis der Entstehungs­geschichte unserer Galaxis von entscheidender Bedeutung sind. Die neue Röntgen­karte zeigt aber noch mehr: Sterne mit starken, magnetisch aktiven heißen Coronae, Röntgen­doppelsterne, die Neutronen­sterne, schwarze Löcher oder weiße Zwerge enthalten, und spektakuläre Supernova-Überreste in unserer eigenen und anderen nahen Galaxien wie den beiden Magellanschen Wolken.

„Wir haben alle mit Spannung auf die erste Himmelskarte von eRosita gewartet“, sagt Mara Salvato, die leitende Wissenschaftlerin am MPE um die eRosita-Beobachtungen mit anderen Teleskopen über das gesamte elektro­magnetische Spektrum hinweg zu kombinieren. „Große Himmels­bereiche wurden bereits bei vielen anderen Wellenlängen abgedeckt, und jetzt haben wir die entsprechenden Röntgen­daten. Wir brauchen diese anderen Beobachtungen, um die Röntgen­quellen zu identifizieren und ihre Natur zu verstehen.“ Diese Daten sind auch eine Fundgrube für seltene und exotische Phänomene, darunter zahlreiche Arten von Veränderlichen, wie etwa Flares von kompakten Objekten, verschmelzende Neutronen­sterne und Sterne, die von schwarzen Löchern verschluckt werden. „eRosita sieht oft unerwartete Ausbrüche von Röntgen­strahlen am Himmel“, fährt Salvato fort. „Wir müssen boden­gebundene Teleskope sofort alarmieren, um zu verstehen, was dahintersteckt.“

Das Zusammensetzen des ersten kompletten Himmels­bildes war eine Mammut­aufgabe. Bislang hat das Team etwa 165 Gigabyte an Daten, die von eRositas sieben Kameras gesammelt wurden, empfangen und verarbeitet. Während der Betrieb dieses komplexen Instruments im Weltraum, gemessen an den Daten­mengen am Boden, relativ klein ist, stellt die Distanz eine besondere Heraus­forderung dar. „In Zusammen­arbeit mit unseren Kollegen in Moskau, die die SRG-Raum­sonde betreiben, überprüfen und überwachen wir täglich den Zustand des Instruments“, erklärt Miriam Ramos-Ceja, Mitglied des eRosita-Operations­teams am MPE. „So können wir schnell auf alle Anomalien reagieren und gleichzeitig Daten mit einer Effizienz von ungefähr 97 Prozent sammeln. Es ist fantastisch, in Echtzeit mit einem Instrument kommunizieren zu können, das sich 1,5 Millionen Kilometer von uns entfernt befindet!“ Der Daten-Downlink erfolgt täglich. „Wir prüfen sofort die Qualität der Daten“, fährt sie fort, „bevor sie von den Teams in Deutschland und Russland weiter­verarbeitet und analysiert werden.“

Während das Team nun damit beschäftigt ist, diese erste Karte des gesamten Himmels zu analysieren und die Bilder und Kataloge zu nutzen, um unser Verständnis der Kosmologie und der energie­reichen astro­physikalischen Prozesse zu vertiefen, setzt das Teleskop seine Durchmusterung des Röntgen­himmels fort. „Das SRG-Observatorium beginnt nun seine zweite Himmels­durchmusterung, die bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein wird“, sagt Rashid Sunyaev, leitender Wissenschaftler des russischen SRG-Teams. „Insgesamt planen wir, in den nächsten dreieinhalb Jahren sieben Karten wie dieses schöne Bild zu erhalten. Ihre kombinierte Empfindlichkeit wird um den Faktor fünf besser sein und von Astro­physikern und Kosmologen jahr­zehntelang genutzt werden.“

Kirpal Nandra, Leiter der Abteilung Hochenergie-Astrophysik am MPE, fügt hinzu: „Mit einer Million Quellen in nur sechs Monaten hat eRosita die Röntgen­astronomie bereits revolutioniert, aber dies ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. Diese Kombination von Himmels­fläche und Tiefe transformiert alles. Wir untersuchen bereits jetzt ein kosmologisches Volumen des heißen Universums, das viel größer ist, als es bisher möglich war. In den nächsten Jahren werden wir in der Lage sein, noch tiefer zu gehen und zu erforschen, wo sich die ersten riesigen kosmischen Strukturen und super­massereichen schwarzen Löcher gebildet haben.“

MPE / DE
 

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