03.12.2014

Bohr-Einstein reloaded

Einsteins Gedanken­experi­ment zur Bestim­mung der Elek­tronen­bahn durch einen Doppel­spalt auf mole­kula­rer Ebene durch­geführt.

Die Diskussionen zwischen Niels Bohr und Albert Einstein zur Interpretation der quantenphysikalischen Phänomene sind legendär. Während für Bohr und seine Anhänger die Quantentheorie Mitte der 1920er Jahre bereits auf festem Boden stand, war sie für Einstein noch unvollständig. Wahrscheinlichkeit und Komplementarität stellten in seinen Augen keine solide Basis für eine Theorie dar. Um die Kopenhagener Interpretation herauszufordern, ersann er 1927 auf der berühmten fünften Solvay-Konferenz in Brüssel ein Gedankenexperiment. Heute, mehr als achtzig Jahre später, ist es Forschern am französischen SOLEIL Synchrotron schließlich gelungen, dieses Experiment tatsächlich durchzuführen.

Abb.: Einstein wollte in seinem Gedankenexperiment den Impulsübertrag des Elektrons an den Spalt messen und so dessen Weg durch den Doppelspalt bestimmen (links unten). Wie das reale Experiment jedoch zeigt, zerstört dieser Informationsgewinn die Interferenz. (Bild: X.-J. Liuet al.)

Einstein hatte es damals auf den Doppelspaltversuch abgesehen. Ihm missfiel Bohrs Deutung anhand des Komplementaritätsprinzips. Demnach sei das Elektron, solange es unbeobachtet bleibt, als Welle zu betrachten und gehe somit gleichzeitig durch beide Spalte. Einsteins Argumentation zufolge wäre es gar nicht notwendig, das Elektron an einem Spalt zu detektieren, um ihm wieder Teilcheneigenschaften zu geben. Vielmehr verrate es seine Bahn beim Durchgang von selbst – aufgrund des Impulsübertrags an den Spalt, der es ablenkt. Wäre es also möglich, diesen Rückstoß zu messen, könne man den Weg des Teilchens bestimmen, ohne die Interferenz zu beeinträchtigen. Natürlich ist der Impulsübertrag eines Elektrons an eine massive, bewegliche Spaltblende viel zu gering, um ihn messen zu können. Eine Überprüfung dieses Gedankenexperiments schien also außerhalb jeglicher Reichweite.

Die Forscher rund um Xiao-Jing Liu realisierten den beweglichen Doppelspalt stattdessen in Form eines O2-Moleküls. Anstatt, wie sonst üblich, ein Elektron auf einen Spalt zu schießen, regten sie ein solches Molekül mit Röntgenstrahlung an. Dabei wurde ein Elektron aus einem inneren Atomorbital in ein unbesetztes Molekülorbital gehoben. Da das entstandene Loch delokalisiert war, blieb die Symmetrie des Moleküls bei diesem Vorgang erhalten. Infolge des Rekombinationsprozesses begann das Molekül zu dissoziieren und emittierte dabei ein Auger-Elektron. Über eine Ion-Elektron-Koinzidenzmessung konnten Liu und seine Kollegen den Impulsübertrag dieses Elektrons auf die einzelnen Sauerstoffatome, also die „Spalte“, bestimmen.

Dieser experimentelle Aufbau ermöglichte die Realisierung zweier verschiedener Szenarien: Erfolgte die Emission des Elektrons, während sich die beiden Atome noch nahe ihres Gleichgewichtsabstands befanden, also noch stark gebunden waren, teilte sich der Rückstoß gleichmäßig auf beide auf. Somit war es unmöglich zu unterscheiden, welches Atom das Elektron emittiert hatte – es entstand das typische Interferenzmuster eines Doppelspalts. Erfolgte die Emission jedoch zu einem späteren Zeitpunkt, war das Molekül bereits weitgehend dissoziiert und das Elektron übertrug seinen Impuls nur auf eines der beiden Atome. Die Information, welches Atom einen Rückstoß erfährt, entspricht der Kenntnis darüber, welchen Weg ein Elektron durch einen Doppelspalt nimmt – das Interferenzmuster verschwand.

Die Ergebnisse stehen in absolutem Einklang mit Bohrs Sichtweise, bestätigen aber nur, was er bereits damals auf Einsteins Gedanken erwiderte: Man müsse eben auch die Spalte als quantenmechanische Objekte betrachten! Trotzdem hätte er wohl seine Freude an dem Experiment gehabt.

Thomas Brandstetter

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