14.09.2020

Blitzschlag aus dem Kristall

Pyroelektrolyse zeigt spannendes Potenzial, auch für die katalytische Erzeugung von Wasserstoff.

Die Pyroelektrizität ist ein Phänomen, bei dem Wärme über bestimmte Kristalle in Strom umgewandelt oder die entstehende Spannung für chemische Reaktionen genutzt werden kann. Während die erste Anwendung heute schon in Geräten wie Bewegungs­meldern stattfindet, ist die zweite zwar bekannt, aber bisher noch nicht ausreichend theoretisch beschrieben worden. Ein Physikerteam der TU Berg­akademie Freiberg hat nun einen Weg gefunden, die Prozesse an pyro­elektrischen Oberflächen in einem Modell zu beschreiben und vorher­zusagen. 
 

Abb.: Aufnahme eines Lithium­tantalat-Kristalls mit Überschlägen (Bild: S....
Abb.: Aufnahme eines Lithium­tantalat-Kristalls mit Überschlägen (Bild: S. Jachalke, TU Bergakad. Freiberg)

Mateo de Vivanco nimmt einen Föhn zur Hand und leitet warme Luft auf einen unscheinbar aussehenden kleinen Kristall. Einen Augenblick später, nach zirka fünf Sekunden, sind auf der Oberfläche des Kristalls mit bloßem Auge kleine Blitze zu erkennen. Was sich nach Magie anhört, lässt sich mit der Pyro­elektrizität beschreiben: „Kristalle der Material­klasse Pyro­elektrika erzeugen eine elektrische Spannung, wenn sich ihre Temperatur ändert“, klärt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Experimentelle Physik (IEP) der TU Bergakademie Freiberg auf. Der Grund für das Phänomen liegt in den kleinsten positiv und negativ geladenen Teilchen des Kristalls, die bei einer Temperatur­änderung zusammen- oder auseinander­driften. Die Summe dieser Bewegungen entlädt sich als elektrischer Strom an der Oberfläche des Kristalls.

Die entstehende Spannung könnte in einem möglichen Anwendungs­szenario für chemische Reaktionen genutzt werden. „Besonders interessant ist hierbei die Spaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff, der als Energieträger und in der chemischen Industrie ein gefragtes Gas ist“, so Mateo de Vivanco. Doch obwohl diese Reaktion schon vor einigen Jahren experimentell nachgewiesen werden konnte, ließen sich die physikalischen Hintergründe in der internationalen Forschung bisher nur unzureichend beschreiben. Hier setzten die Forscher an und studierten in einem ersten Schritt vorhandene Modelle, die diese und ähnliche Reaktionen erklären.

„Als Chemiker in einer physikalischen Arbeitsgruppe wollte ich die Ausbeute der Wasserspaltung errechnen. Da dies mit bestehenden Modellen nicht möglich war, überlegten mein Team und ich, welche Faktoren die pyro­elektrische Ausbeute einschränken“, erklärt der Erstautor der Studie. „Im Vergleich zur direkten Elektrizitäts­nutzung hat man bei der Wasserstoff­erzeugung nämlich Über­spannungen unter­schiedlicher Natur zu bewältigen, die die Wasser­spaltung behindern können“, so de Vivanco weiter. In mehrjähriger Forschungs­arbeit gelang es dem Team auf diese Weise, das nun vorgelegte chemisch-physikalische Modell zu entwickeln, mit dem die Prozesse an pyro­elektrischen Oberflächen in chemisch labilen Medien, wie zum Beispiel Wasser, erklärt und vorhergesagt werden können.

Dank des neuen Modells ergeben sich neue Möglichkeiten zum Verständnis komplexer elektrochemischer Prozesse an Feststoff­oberflächen. So kann man damit beispielsweise erstmals die produzierte Menge an Wasser­stoff erklären und vorhersagen. Wird der pyro­elektrische Prozess – nicht nur mit Hilfe des neuen Modells – künftig weiterentwickelt, ergibt sich neues Verwendungs­potenzial für Forschung und Industrie.

„Insbesondere für die in der aktuellen Diskussion befindliche Entwicklung wesentlicher, auf Wasserstoff basierender Technologien stellen die aktuellen Ergebnisse des Teams einen belastbaren Vorlauf dar“, sagt Dirk C. Meyer, Instituts­direktor des IEP, in seiner Eigenschaft als wissenschaftlicher Sprecher des Zentrums für effiziente Hoch­temperatur-Stoff­wandlung (ZeHS) der TU Berg­akademie Freiberg. „Schon seit mehreren Jahren bildet die Beschäftigung mit kristall­physikalischen Kopplungs­phänomenen, insbesondere der Pyro­elektrizität, einen Schwer­punkt der Arbeiten am IEP“, so Meyer. 

TU Bergakad. Freiberg / DE
 

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