24.02.2021

Beschwingte Moleküle

Neue Spektroskopietechnik ermöglicht hochpräzise Vermessung molekularer Schwingungsspektren.

Vor nahezu hundert Jahren fand in der Physik eine revolutionäre Entdeckung statt: Mikroskopische Materie weist Eigenschaften von Wellen auf. Im Laufe der Jahrzehnte wurden mit immer präziseren Experimenten insbesondere die Wellen­eigenschaften der Elektronen vermessen. Dazu zogen Forscher vor allem die spektroskopische Untersuchung des Wasserstoff­atoms heran. So ließ sich überprüfen, wie genau die Quanten­theorie des Elektrons stimmt.
 

Abb.: Eine Apparatur zur Speicherung von Molekülionen (Bild: D. Offenberg /...
Abb.: Eine Apparatur zur Speicherung von Molekülionen (Bild: D. Offenberg / HHU)

Für schwere Elementarteilchen und Atomkerne ist eine genaue Vermessung ihrer Wellen­eigenschaften schwierig. Im Prinzip sind diese allerdings allgegenwärtig: In Molekülen sind die Wellen­eigenschaften von Atomkernen offensichtlich realisiert, und zwar in den inneren Schwingungen der Atomkerne gegeneinander. Dies ermöglichen die Elektronen in Molekülen, die eine Bindung zwischen den Kernen verursachen, die aber nicht starr, sondern „weich“ ist. Kern­schwingungen treten zum Beispiel in jedem Molekülgas unter Normal­bedingungen auf. Die Wellen­eigenschaften der Kerne äußern sich, indem die Schwingung nicht eine beliebige Stärke – sprich Energie – aufweisen kann, wie es etwa bei einem Pendel der Fall wäre. Vielmehr sind nur präzise diskrete, quantisierte Werte für die Energie möglich. 

Ein Quantensprung vom Schwingungs­zustand geringster Energie zu einem Zustand größerer Energie kann erfolgen, indem auf das Molekül Licht eingestrahlt wird, dessen Wellenlänge präzise so eingestellt ist, dass sie genau dem Energie­unterschied zwischen beiden Zuständen entspricht. Möchte man die Welleneigenschaften der Nuklide sehr genau überprüfen, benötigt man sowohl eine sehr präzise Messmethode als auch eine sehr genaue Kenntnis der Bindungs­kräfte im konkreten Molekül, denn diese bestimmen die Details der Wellen­bewegung der Nuklide. Hiermit wird es dann auch möglich, fundamentale Naturgesetze zu testen.

Eine Herausforderung: Es ist es heute noch nicht möglich, für die Bindungskräfte von Molekülen im Allgemeinen präzise theoretische Vorhersagen zu treffen – die Quanten­theorie ist mathematisch zu komplex. Daher ist eine präzise Überprüfung der Wellen­eigenschaften in einem beliebigen Molekül nicht möglich, sondern nur bei besonders einfachen Molekülen.

Genau einem solchen Molekül – dem Wasserstoff­molekülion HD+ – widmet sich Stephan Schillers Forschungs­team am Institut für Experimental­physik der HHU, zusammen mit seinem langjährigen Kooperations­partner V. I. Korobov vom Bogoliubov Laboratory of Theoretical Physics am Joint Institute for Nuclear Research im russischen Dubna. HD+ besteht aus einem Proton und einem Deuteron. Beide sind durch ein einziges Elektron aneinander gebunden. Die relative Einfachheit dieses Moleküls erlaubt es mittlerweile, extrem genaue theoretische Rechnungen durchzuführen. Dies gelang V.I. Korobov, der über zwanzig Jahre lang seine Rechnungen kontinuierlich verbesserte.

Für geladene Moleküle, etwa das Wasserstoff­molekülion, fehlte bis vor kurzem eine zugängliche und gleichzeitig hochpräzise Mess­technik. Das Team um Schiller hatte aber im letzten Jahr eine neuartige Spektroskopie­technik für die Untersuchung der Rotation von Molekül­ionen entwickelt. Dabei wurde Terahertz-Strahlung eingesetzt, mit einer Wellenlänge von etwa 0,2 Millimetern. 

Das Team konnte nun zeigen, dass derselbe Ansatz auch für die Anregung von Molekül­schwingungen mittels Strahlung mit fünfzigfach kürzerer Wellenlänge funktioniert. Dafür mussten sie einen besonders frequenz­scharfen Laser entwickeln, der weltweit einmalig ist.

Sie wiesen nach, dass die erweiterte Spektroskopie­technik ein Auflösungs­vermögen für die Strahlungs­wellenlänge für Schwingungs­anregung besitzt, das 10.000 Mal höher ist als bei bisherigen Techniken für Molekül­ionen. Auch systematische Störungen der Schwingungs­zustände der Molekül­ionen, etwa durch elektrische und magnetische Stör­felder, konnten um den Faktor 400 unterdrückt werden. Letztlich zeigte sich, dass die Vorhersage der Quanten­theorie bezüglich des Verhaltens der Atomkerne Proton und Deuteron mit einer relativen Ungenauigkeit von weniger als drei zu 100 Milliarden mit dem Experiment übereinstimmt.

Setzt man allerdings voraus, dass die von V.I. Korobov getätigte Vorhersage auf der Basis der Quanten­theorie vollständig ist, so kann man das Ergebnis des Experiments auch anders deuten: Als Bestimmung des Verhältnisses von Elektronen­masse zur Protonenmasse. Der abgeleitete Wert stimmt sehr gut mit den Literatur­werten überein. Schiller betont: „Wir waren überrascht, wie gut das Experiment funktioniert hat. Und wir glauben, dass die von uns entwickelte Technik nicht nur für unser spezielles Molekül einsetzbar ist, sondern viel breiter. Es wird spannend sein zu sehen, wie schnell die Technik von anderen Arbeits­gruppen übernommen werden wird.“ 

HHU / DE
 

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