22.07.2019

Balkenstruktur in der Milchstraße

3D-Ansicht dank genauerer Kartierung der entferntesten Regionen der Galaxie.

Durch die Nutzung zusätzlicher Beobachtungen mit boden- und weltraum­basierten Teleskopen im optischen und Infrarot­bereich haben Wissenschaftler des Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam AIP und der Universität Barcelona kürzlich neue Entfernungen, Stern­eigenschaften und die interstellare Licht­abschwächung durch Staub für etwa 150 Millionen Sterne in unserer Galaxie ermittelt. Dieser Ansatz der Nutzung mehrerer Wellenlängen­bereiche ermöglicht eine genauere Kartierung der entferntesten Regionen der Milchstraße, erweitert ihre drei­dimensionale Ansicht über frühere Arbeiten hinaus und bildet erstmals den zentralen galaktischen Balken deutlich ab. 

Abb.: Darstellung der Gaia-Daten kombiniert mit anderen Durch­musterungen und...
Abb.: Darstellung der Gaia-Daten kombiniert mit anderen Durch­musterungen und StarHorse-Code über einer Illus­tration der Milch­straße. Mittig ist deutlich eine Balkens­truktur sichtbar. (Bild: NASA / JPL-Caltech / R. Hurt, Starhorse / A. Khalatyan)

„Wir haben uns insbesondere zwei der in den Gaia-Daten enthaltenen Stern­parameter angesehen: die Oberflächen­temperatur der Sterne und die Licht­abschwächung, die im Grunde genommen ein Maß dafür ist, wie viel Staub sich zwischen uns und den Sternen befindet, ihr Licht verdeckt und es röter erscheinen lässt“, sagt  Friedrich Anders von der Universität Barcelona. „Diese beiden Parameter sind miteinander verbunden, aber wir können sie unabhängig voneinander bewerten, indem wir zusätz­liche Informationen hinzufügen, die wir dadurch erhalten, dass wir mittels Infrarot­beobachtungen durch den Staub hindurch­schauen.“ 

Das Team kombinierte die zweite Gaia-Daten­veröffent­lichung mit mehreren Infrarot-Durch­musterungen unter Verwendung eines Computercodes namens StarHorse, der von Anna Queiroz, Doktorandin in der Gruppe „Milchstraße und die lokale Umgebung“ am AIP, mitentwickelt wurde. Der Code vergleicht die Beobachtungen mit Sternmodellen, um die Oberflächen­temperatur von Sternen, die Licht­abschwächung und eine verbesserte Schätzung der Entfernung zu den Sternen zu bestimmen. Arman Khalatyan vom AIP betont, dass „die Berechnung insgesamt 19 Jahre auf einem einzigen Computer gedauert hätte. Mit der wachsenden Datenmenge werden in Zukunft noch größere Anstrengungen erforderlich sein.“ Die Berechnungen wurden in der Cluster­anlage des AIP durchgeführt.

Dadurch erreichten die Astronomen eine wesentlich bessere Bestimmung der Entfer­nungen zu etwa 150 Millionen Sternen – in einigen Fällen beträgt die Verbesserung bis zu zwanzig Prozent oder mehr. Dies ermöglichte es ihnen, die Verteilung der Sterne über die Milchstraße auf viel größere Entfernungen zu verfolgen, als dies nur mit den ursprünglichen Gaia-Daten möglich war. „Mit der zweiten Gaia-Daten­veröffentlichung können wir einen Radius um die Sonne von etwa 6500 Lichtjahren sondieren, aber mit unserem neuen Katalog können wir diese Gaia-Kugel um das Dreifache oder Vierfache erweitern, bis ins Zentrum der Milchstraße“, erklärt Cristina Chiappini.

Dort, im Zentrum unserer Galaxie, zeigen die Daten deutlich eine große, längliche Struktur in der drei­dimensionalen Verteilung der Sterne: der galaktischen Balken. „Wir wissen, dass die Milchstraße einen Balken hat, so wie andere Balkenspiralgalaxien, aber bisher hatten wir nur indirekte Hinweise aus den Bewegungen von Sternen und Gas oder aus der Sternen­zählung in Infrarot­durchmusterungen. Dies ist das erste Mal, dass wir den galaktischen Balken im 3D-Raum sehen, basierend auf geo­metrischen Messungen von Sternabständen“, erläutert Anders. „Wir interessieren uns letztendlich für galaktische Archäologie: Wir wollen rekonstruieren, wie sich die Milchstraße entwickelt hat, und dazu müssen wir die Geschichte jedes einzelnen ihrer Bestandteile verstehen“, ergänzt Chiappini. „Es ist immer noch unklar, wie sich der Balken gebildet hat – eine große Menge an Sternen und Gas, die sich starr um das Zentrum der Galaxie dreht – aber mit Gaia und anderen bevor­stehenden Durch­musterungen der nächsten Jahre sind wir sicherlich auf dem richtigen Weg, dies heraus­zufinden.“

Mit Blick auf die Zukunft freut sich Queiroz, dass „wir mit der nächsten Gaia-Daten­veröffent­lichung, die auch niedrig­auflösende Spektren für Milliarden von Sternen beinhalten wird, noch bessere galaktische Karten produzieren können, die möglicher­weise bis zur anderen Seite der galaktischen Scheibe reichen.“ Die dritte Gaia-Daten­veröffent­lichung, die derzeit für 2021 geplant ist, wird stark verbesserte Entfernungs­bestimmungen für eine viel größere Anzahl von Sternen beinhalten und soll Fortschritte beim Verständnis der komplexen Region im Zentrum der Milchstraße ermöglichen. Chiappini ergänzt: „Spektro­skopische Folge­untersuchungen mit speziellen erdge­bundenen Teleskopen werden ergänzende Informationen liefern, insbesondere detaillierte Finger­abdrücke der chemischen Zusammensetzung für viele Millionen Sterne. In Kombination mit Gaia werden diese Untersuchungen, darunter das Vier-Meter spektro­skopische Multi-Objekt-Teleskop (4MOST) an der europäischen Südsternwarte und die WEAVE-Durch­musterung am William-Herschel-Teleskop in La Palma es uns ermöglichen, die Entstehungs­geschichte der Milchstraße viel detaillierter darzustellen.“

LAP / JOL

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