14.08.2019

Balance auf Bändern

Sommerzeit ist Slacklinezeit. Spannend ist auch die Physik des schwankenden Balanceaktes.

Mit spektakulären Aktionen schafft es vor allem immer wieder die Hochseilartistik in die Medien. Anlässlich der Hundert-Jahr-Feier der USA im Jahr 1876 zum Beispiel balancierte die Italienerin Maria Speltini als erste Frau über die Niagaraschlucht.

Bei solchen Seiltänzereien werden meistens stark vorgespannte, dicke Drahtseile verwendet, die im Vergleich zum Artisten ein nicht unwesentliches Gewicht aufweisen. Im Gegensatz hierzu hängen Slacklines dank ihrer Elastizität und wegen des Gewichts der Athletinnen und Athleten meist beträchtlich durch. Beim Slacklining verzichtet man auch auf Balancierstangen, die bei den Hochseil-Darbietungen durch ihre Trägheit Stabilität und Sicherheit verleihen.

Slacklines werden häufig in Parks zwischen Bäumen befestigt. Sie sind 2,5 cm breite Bänder aus Polyester, Polyamid oder Polyethylen, die je nach Länge unterschiedlich stark vorgespannt sind. Bei 10 m langen Tricklines, die knapp über dem Boden angebracht sind, beträgt die Vorspannung zwischen 1 und 5 kN (Kilonewton), bei Longlines mit 300 m Länge über 20 kN.

Abb. 1 Das Balancieren auf einer Slackline erfordert ausgleichende Bewegungen...
Abb. 1 Das Balancieren auf einer Slackline erfordert ausgleichende Bewegungen mit dem Oberkörper, den Armen und dem freien Bein (Foto mit frdl. Genehmigung des Gezeigten).

Bei Slacklines, gelegentlich auch „Schlappseil“ genannt, führen also die geringe Vorspannung und die Elastizität der Bänder zu einem nicht unwesentlichen Durchhang. Für die Befestigung der Seilenden ist es wichtig, die dort auftretenden Kräfte abschätzen zu können. In einem Artikel der aktuellen Ausgabe von „Physik in unserer Zeit“ (freier Download bis 28.8.2019) geben die Autoren eine einfache Rechnung für diese vertikal wirkende Kraft an einer Aufhängung an. Bei einem „Durchhäng“- Winkel von 60° ist sie größer als das halbe Gewicht der Balancierenden, nämlich 58 % ihrer Gewichtskraft, bei 45° steigt sie auf 71 % der Gewichtskraft. Bei nur 30° gleicht die vertikale Kraft an einer Aufhängung der halben Gewichtskraft, es wirkt also an beiden Seiten des Gurtes die gesamte Gewichtskraft. Je kleiner dieser Winkel wird, je weniger also die Slackline durchhängt, desto stärker sind ihre Befestigungen belastet. Hängt zum Beispiel eine 10 m lange Slackline mit einem 80 kg schweren Mann nur 10 cm durch, so beträgt die Kraft 20 kN, also das 25-Fache des Sportlergewichts.

Balance

Um die Balance zu halten, muss man eigentlich nur den Schwerpunkt immer genau über der Standfläche halten. Allerdings weicht beim Slacklinen das Band zur Seite aus. Damit bewegt sich der Stand- oder Fußpunkt seitlich. Die Situation ähnelt einem aufrecht stehenden Bleistift, den man als invertiertes Pendel auf einem Finger balanciert. Um bei einer Schieflage des Körpers wieder eine Balance zu erlangen, muss man also den Standpunkt durch seitliches Auslenken der Slackline wieder senkrecht unter den Schwerpunkt bekommen. Wegen des durchhängenden Seils geschieht das dynamisch: Man drückt die Slackline mit dem aufgesetzten Fuß so weit in Kipprichtung des Körperschwerpunkts nach außen, dass man dessen Bewegungsrichtung wieder zur Mittellage hin umkehrt und ihn so „einfängt“ (Abbildung 1).

Für das erfolgreiche Durchführen von ausgleichenden Bewegungen beim Balancieren ist die zur Verfügung stehende Zeit maßgeblich, wie die Autoren in dem Artikel ausführen.

Schwingungen

Beim Slacklining kann man unterschiedliche Schwingungen beobachten. Bei unerfahrenen Slacklinern wackelt das Band zusammen mit dem Standbein oft seitlich mit etwa 4 Hz (Hertz) und geringer Amplitude, während das andere Bein größere Ausgleichsbewegungen mit etwa 1 Hz ausführt. Auf langen Slacklines mit mehr als 100 m Länge vollführen Sportler manchmal vertikale Schwingungen mit 1 - 4 m Amplitude mit einer Frequenz von etwa 0,2 Hz. Forscher haben herausgefunden, dass diese Bewegung kaum zur Stabilität beitragen kann, weil die Beschleunigungen deutlich geringer als die Erdbeschleunigung sind. Sehr geschickte Slackliner erzeugen oft absichtlich seitliche Schwingungen, sie „surfen“ beim Slacklinen. Ein genaueres Modell zeigt: Je größer der Durchhang, desto schwieriger ist die Kontrolle und desto mehr Energie wird für Ausgleichsbewegungen benötigt.

Sigrid Thaller, Leopold Mathelitsch, Uni Graz        

Originalveröffentlichung

S. Thaller, L. Mathelitsch, Balance auf Bändern, Phys. Unserer Zeit 50(4), 196 (2019); https://doi.org/10.1002/piuz.201901535 (bis 28.8.2019 freier Download)

 

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