28.11.2019

Auf der Jagd nach Ozeanwirbeln

Neues Programm untersucht Einfluss von Wasserwirbeln auf die Physik und Biogeochemie von Ozeanen.

Die Netze sind ausgelegt. Im Rahmen des Helmholtz-Umwelt­beobachtungs­programms Moses wollen Forscher des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht Zentrum für Material und Küsten­forschung bis Weihnachten extrem sauer­stoffarme Wirbel im tropischen Atlantik genau untersuchen. Schon jetzt spähen autonome Geräte rund um die kapverdischen Inseln nach geeigneten Wirbeln für die Beprobung. Am 23. November verlässt auch das Forschungs­schiff Meteor den Hafen von Mindelo. Ein Forschungs­flugzeug wird die Suche aus der Luft unterstützen. 
 

Abb.: Die Insel Sal bildet in den nächsten Wochen die Basis für das...
Abb.: Die Insel Sal bildet in den nächsten Wochen die Basis für das Forschungs­flugzeug Stemme. (Bild: B. Baschek / HZG)

Im Jahr 2010 staunten Meeresforscher in Kiel nicht schlecht. Die von ihnen betriebene Langzeit­beobachtungs­station „Cape Verde Ocean Observatory“ (CVOO) nördlich der Kapverden-Insel São Vicente zeichnete kurzfristig so niedrige Sauerstoff­werte im Meerwasser auf, wie sie bis dahin noch nie im Atlantik gemessen worden waren. Ein Messfehler? Nein: Satellitendaten und weitere Beobachtungen offenbarten, dass ein ozeanischer Wirbel mit einem Durchmesser von hundert Kilometern gerade das CVOO passiert hatte. In seinem Inneren herrschten offenbar extreme Bedingungen. 

2014 gelang einem Team des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozean­forschung Kiel und des Kieler Forschungs­netzwerkes „Future Ocean“ dann erstmals die gezielte Beprobung einer solchen mobilen und verhältnismäßig kurzlebigen Sauerstoff­minimumzone. Jetzt soll eine neue umfangreichere Messkampagne etliche noch offene Fragen zu dem Phänomen und der Rolle von Wirbeln im System Ozean beantworten. Sie findet im Rahmen des Umwelt-Beobachtungs­programms Moses der Helmholtz-Gemeinschaft statt. Mit an Bord ist dieses Mal auch das Helmholtz-Zentrum Geesthacht Zentrum für Material und Küstenforschung (HZG), das bereits ähnliche Untersuchungen an kleineren küstennahen Wirbeln („Eddies”) im Rahmen der Expedition „Uhrwerk Ozean“ durchgeführt hat. Die sich ergänzende Expertise beider Forschungs­einrichtungen wird nun in der „ Moses Eddy Study II“ zusammengebracht. 

Kern der neuen Messkampagne ist eine Expedition mit dem deutschen Forschungs­schiff Meteor, die am 23. November im Hafen von Mindelo (Kap Verde) beginnt. Die Forscher an Bord, darunter auch Arbeitsgruppen des Marum (Bremen) und der Universität Kaiserslautern, bekommen zusätzlich Unterstützung aus der Luft. Die Fachhochschule Aachen stationiert das Forschungs­motor­segel­flugzeug Stemme S-10 VTX auf der Kapverden-Insel Sal, um von dort mit Experten des HZG die Wirbel aus der Luft zu beobachten und ihre Interaktion mit der Atmosphäre zu vermessen.

„Je mehr sich die Forschung mit Wirbeln im Ozean beschäftigt, desto mehr erkennt sie, dass diese eine wichtige und bisher nur unzureichend verstandene Rolle bei der Verteilung von Energie, Sauerstoff oder auch Nährstoffen haben und darüber hinaus die Physik und Biogeochemie ganzer Ozeanbecken beeinflussen können“, sagt Arne Körtzinger vom Geomar, wissenschaftlicher Fahrtleiter der Meteor-Expedition. 

Die Beprobung des Wirbels im Jahr 2014 und die anschließende Auswertung der Daten hat beispielsweise Prozesse nachgewiesen, die im Atlantik vorher nicht erwartet worden waren. Dazu gehört auch die natürliche Produktion erheblicher Mengen von Treibhausgasen aufgrund besonderer biochemischer Prozesse in den sauerstoffarmen Zonen. „Das verändert unsere Vorstellung von Elementkreisläufen im Atlantik, was letztendlich auch Einfluss auf unsere Ozean- und Klimamodelle haben wird“, betont Körtzinger. 

Sein Kollege Burkard Baschek, Institutsleiter im Institut für Küstenforschung des HZG, bestätigt dieses. Bei der Expedition Uhrwerk Ozean im Sommer 2016 haben die Küstenforscher aus Geesthacht kurzlebige Wirbel in Küstennähe von der Entstehung bis zum Zerfall vermessen. „Dabei konnten wir nachweisen, dass kaltes Wasser im Inneren der Wirbel schnell nach oben transportiert wird. Die kleinen Wirbel bringen dabei Nährstoffe von tieferen Ebenen der Wassersäule nach oben an die Oberfläche. Wenn sie dort mit dem Sonnenlicht zusammen­kommen, sind das ideale Voraussetzungen für das Algenwachstum und damit entscheidend für den Beginn der Nahrungskette und das Leben im Meer. Nun wollen wir die Interaktion der kleinen Wirbel mit den großen vermessen und verstehen“, so Baschek. 

Damit die knappe Schiffs- und Flugzeugzeit effizient genutzt werden kann, werten die Forscher schon seit Wochen hochaufgelöste Satelliten­bilder und Vorhersage­modelle aus, um passende Wirbel-Kandidaten auszumachen. Die Wirbel bilden sich vor der westafrikanischen Küste aufgrund des Zusammenspiels von Wind, Strömungen und Küsten­topographie. Von den Küsten wandern sie anschließend Richtung Westen in den offenen Atlantik, wo sich einige erst nach Monaten auflösen. „Aktuell sind mehrere Eddies unterwegs, die für uns interessant sind“, sagt Körtzinger. Vom Ocean Science Centre Mindelo aus hat das Team bereits vor Wochen einen ganzen Schwarm autonomer Geräte auf den Weg gebracht, um diese Kandidaten schon vorab zu untersuchen. „Dabei kommen neben unseren eigenen Geräten auch topmoderne Saildrones zum Einsatz. Das sind autonome Mess­plattformen, die sich mithilfe des Windes fortbewegen und jetzt bereits knapp 4.000 Kilometer Strecke vermessen haben“, erklärt Körtzinger. 

Neben dem Helmholtz-Programm Moses ist die die aktuelle Wirbeljagd auch Gegenstand des vom Bundesforschungsministerium finanzierten Projekts Reebus. „Es ist schön, dass wir so viele verschiedene Programme sowie Expertinnen und Experten zusammen­bringen konnten, um gemeinsam das bislang kaum verstandene Phänomen der Ozeanwirbel mit den modernsten zur Verfügung stehenden Instrumenten untersuchen zu können“, fasst Körtzinger zusammen. 

Geomar / DE
 

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