18.10.2022 • Energie

Auf Biegen und Schwingen: Hightech-Rotorblätter im Test

Strukturdynamische Tests liefern weltweit einmalige Daten und ermöglichen Aufbau eines digitalen Zwillings der Rotorblätter.

Mit dem Forschungspark Windenergie baut das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt im nieder­sächsischen Krummen­deich eine in dieser Form einmalige Anlage auf. Sie ermöglicht es, die techno­logischen Aspekte der Windkraft im Real­maßstab zu erforschen. Die zwei Windenergie­anlagen des Forschungs­parks verfügen dazu über spezielle Rotorblätter: Sie wurden bereits während der Herstellung beim Industrie­unternehmen Enercon mit etwa 1500 Sensoren ausgestattet. Mit ihnen wollen die Wissenschaftler untersuchen, wie sich Windenergie­anlagen leiser, lang­lebiger und effizienter auslegen und nachhaltiger betreiben lassen.

Abb.: Rotorblatt im Biege- und Schwin­gungs­test. (Bild: DLR; CC BY-NC-ND 3.0)
Abb.: Rotorblatt im Biege- und Schwin­gungs­test. (Bild: DLR; CC BY-NC-ND 3.0)

Bevor die Rotorblätter im Forschungspark montiert werden, haben sie im Sommer einen Zwischenstopp in Bremerhaven gemacht. Am Fraunhofer-Institut für Windenergie­systeme wurden alle sechs Blätter umfassenden struktur­dynamischen Tests unterzogen. Bei diesen grund­legenden Unter­suchungen konnte das Team der DLR und des Fraunhofer-IWES wichtige Eigenschaften der Rotorblätter bestimmen und einen weltweit einmaligen Datenschatz gewinnen. Die Daten ermöglichen sehr genaue Aussagen zum Verhalten der Blätter und tragen dazu bei, Simulationen zu bestätigen und weiter­zu­entwickeln.

Außerdem können die Forscher so einen „digitalen Zwilling“ der Rotorblätter aufbauen. Dieser hilft Forschung und Industrie dabei, neue Standards zu entwickeln und die Blatt-Fertigung zu verbessern. „Mit diesen Tests haben wir den Grund­baustein gelegt, um später mit den Rotorblättern vor Ort in Krummendeich forschen zu können“, erklärt Yves Govers vom DLR-Institut für Aeroelastik.

Für die Versuche hängte das Test-Team die je etwa zwanzig Tonnen schweren und 57 Meter langen Rotorblätter nacheinander mit Gummiseilen an einen Kran. Dann wurden die Blätter mit einem speziellen Rüttelgerät oder mit Hammerschlägen in Schwingung versetzt. Durch die spezielle Aufhängung konnten die Forscher die natürliche Schwingung des Blattes ohne den Einfluss von Umwelt­bedingungen bestimmen.

Gleichzeitig nutzten sie den Versuch, um die bereits während der Produktion an und in den Blättern verbauten rund Sensoren einzurichten und zu testen. Zusätzlich brachten sie speziell für diese Versuche viele weitere Messpunkte und Sensoren über die komplette Länge der Blätter an und maßen sie ein. Bei einer zweiten Art von Test montierten die Forscher eines der baugleichen Blätter an einen Prüfstand und zogen an ihm, um so Statik, Deformation und innere Belastung zu testen.

Bei modernen Windenergie­anlagen werden die Blätter immer länger und gleichzeitig dank neuartiger Werkstoffe immer leichter. So können die Anlagen effizienter betrieben und auch Standorte genutzt werden, die weniger wind­intensiv sind. Damit sind jedoch auch neue technische Heraus­forderungen verbunden: Die Blätter stehen niemals wirklich still, sondern sind immer in Schwingung – ob durch Luft­bewegungen oder selbst durch kleinste Vibrationen im Untergrund, die sogenannte Mikro­seismik.

„Für einen effizienten, leisen und sicheren Betrieb muss man deshalb das Verformungs­verhalten der Rotorblätter gut kennen. Ein Blatt biegt sich durch, verdreht sich dabei aber auch. Besonders der Grad dieser Verdrehung ist wichtig, um die Effizienz zu steigern“, erklärt Govers. „Wir schauen uns aber auch die Belastung der Rotorblätter an. Dazu haben wir über mehrere Blatt­abschnitte spezielle Sensoren integriert. So können wir über die ganze Länge des Blattes die Belastung aufgrund der Anströmung im Betrieb auswerten. Weitere Sensoren dienen der Früh­erkennung von Schäden. Mit dieser umfassenden Instrumen­tierung erhoffen wir uns ganz neue Erkenntnisse über die Blatt­verformung und Blatt­belastung.“

Bereits jetzt melden sich Wissen­schaftler aus ganz Europa beim DLR-Team und zeigen Interesse an dessen Arbeit. „Ich kenne nichts Vergleich­bares“, bilanziert Govers. „Die Anlage ist wahrscheinlich die weltweit am umfassendsten mit Sensoren ausgestattete Windenergie­anlage und wird auf Jahre ihres­gleichen suchen.“ Die sechs Hightech-Rotorblätter machen sich noch diesen Herbst auf den Weg in den Forschungspark Windenergie und werden dort dann montiert.

DLR / RK

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