13.10.2022 • Festkörperphysik

Attosekunden-Stoppuhr für Kristalle

Dynamik beweglicher Elektronen in Festkörpern mit zuvor unerreichter Zeitauflösung gemessen.

Wenn sich Elektronen durch Festkörper bewegen, können sie mit anderen Elektronen inter­agieren, wodurch sich ihre Dynamik ändert. Aufgrund der winzigen Elektronen­masse laufen die relevanten Vorgänge sehr schnell ab. Einem Forscherteam der Uni Regensburg und University of Michigan ist es jetzt erstmals gelungen, die ultra­schnelle Bewegung freier Elektronen in Festkörpern mit der Präzision von wenigen hundert Atto­sekunden zu verfolgen. Diese Auflösung reicht aus, um kleinste Änderungen in der Dynamik von Elektronen durch Anziehung anderer Ladungs­träger oder komplexe Viel­teilchen­korrela­tionen zu unter­suchen.

Abb.: Durch Licht­felder können Elek­tronen und Löcher durch Fest­körper...
Abb.: Durch Licht­felder können Elek­tronen und Löcher durch Fest­körper be­schleu­nigt werden. Bei der Kol­li­sion der Ladungs­träger wird Licht emit­tiert. Durch zeit­liche Ver­mes­sung kön­nen Rück­schlüsse auf Viel­teil­chen-Korre­la­tionen im Kristall ge­zogen werden. (Bild: B. Baxley, parttowhole.com)

Um die Bewegung von Elektronen auf derart kurzen Zeitskalen zu vermessen, entwickelten die Forscher eine neuartige Atto­sekunden-Stoppuhr. Als Unruh dient die schwingende Trägerwelle von Licht. Das Lichtfeld beschleunigt Elektronen in Halbleiter­proben erst in eine Richtung, um sie nach Umpolen der Feld­richtung anschließend mit den Lücken, von denen sie entfernt wurden, zu rekollidieren. Dabei wird Licht emittiert. Die Kollisionen laufen nicht immer gleich wahr­schein­lich ab, sondern hängen davon ab, zu welchem Zeitpunkt des beschleu­nigenden Lichtfelds ein Elektron seine Bewegung beginnt.

Die Forscher vermaßen diesen Kollisions­pfad zeitlich genauer als ein Hundertstel der Licht­schwingungs­periode und konnten so zeigen, wie unter­schied­lich starke Anziehung zwischen Ladungs­trägern ihre Dynamik verändert. Um den Einfluss verschieden starker Anziehungs­kräfte zwischen Ladungs­trägern zu unter­suchen, haben die Forscher neben einer Volumen­probe des Halbleiter­materials Wolfram­di­selenid eine einzelne Atomschicht desselben Materials untersucht. In einem solchen minimal dicken exotischen Festkörper erhöht sich die Anziehung zwischen den Ladungs­trägern um ein Viel­faches und die Bewegung der Elektronen verändert sich.

Außerdem konnten noch weitere maßgeblich bestimmende Größen für die Dynamik der Ladungs­träger untersucht werden: Wird das beschleunigende Lichtfeld verstärkt, vollenden Elektronen ihren Kollisions­kurs schneller. Das gleiche Resultat wird auch beobachtet, wenn viele Elektronen zeitgleich ihre Bewegung starten. Dann schirmen sie sich gegen­seitig ab und die Ladungs­träger sehen nur noch schwache Anziehungs­kräfte.

Aus der Zeit, die Elektronen benötigen, um ihre Teststrecke zu absolvieren, lässt sich also nicht nur erschließen, dass Interaktion statt­ge­funden hat, sondern auch wie. „Auf der Atto­sekunden­zeitskala lassen sich Wechsel­wirkungs­effekte nicht mehr mit den Gesetzen der klassischen Physik erklären sie sind vielmehr rein quanten­mecha­nischer Natur. Direkt in der Zeit­domäne zu verfolgen, wie sie die Bewegung der Elektronen beeinflussen, ist immens hilfreich, um modernste Viel­teilchen-Quanten­theorien zu testen“, erläutert Mackillo Kira von der Uni Michigan, dessen Gruppe die mikro­skopische Dynamik mit quanten­mecha­nischen Rechnungen simulieren konnte.

„Lange war die vorherr­schende Meinung, dass die viel lang­samere Femto­sekunden-Zeitskala ausreicht, um festkörper­relevante Elektronen­dynamik zu beschreiben; diese Hypothese konnten wir klar wider­legen“, bilanziert Rupert Huber, der die Experimente in Regensburg leitete. „Unsere Atto­sekunden-Stoppuhr könnte gute Dienste dabei leisten, Viel­teilchen­korre­la­tionen in modernen Quanten­materialien besser zu verstehen und neue Trends für künftige Quanten­informations­ver­arbeitung zu setzen.“

U. Regensburg / RK

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