10.12.2019

3D-Struktur der Antarktis

Gravitationsdaten ermöglichen detaillierte Einblicke in die Lithosphäre.

Die Antarktis gehört zu den am wenigsten erforschten Gebieten der Welt. Aufgrund der massiven Eisbedeckung ist die Erhebung geo­physikalischer Infor­mationen vor Ort extrem schwierig und kostspielig. Satelliten­daten dienten jetzt als Basis für neue Erkenntnisse über den inneren Aufbau des Kontinents Antarktika. Die neu ausgewerteten Daten des GOCE-Satelliten der Esa über das Gravitations­feld der Erde gewähren in Kombination mit seismo­logischen Modellen beispiel­lose Einblicke in die Lithosphäre, also die tiefe Kruste und den oberen Erdmantel unter dem vereisten Kontinent.

Abb.: Die Strukturen unter dem antarkt­ischen Konti­nent variieren je nach...
Abb.: Die Strukturen unter dem antarkt­ischen Konti­nent variieren je nach Lage deutlich. (Bild: ESA / Planetary Visions)

Folker Pappa und Jörg Ebbing, Geophysiker an der Universität Kiel, nutzten unter anderem die speziellen Gradienten­daten des Satelliten: „Sie erlauben eine sehr viel größere Detailtiefe bei der Analyse der tiefen Erdstrukturen”, so Pappa. Aus diesen Informationen können die Wissen­schaftler beispiels­weise Rückschlüsse auf die Tiefe des Übergangs von Erdkruste zu Erdmantel ziehen – und diese unterscheiden sich enorm auf dem rund 14 Millionen Quadrat­kilometer großen Gebiet. „Unter der geologisch gesehen jungen Westantarktis ist die Erdkruste mit etwa 25 Kilometern vergleichsweise dünn, und der Erdmantel ist bereits in weniger als 100 Kilometern Tiefe zähflüssig. Ostantarktika hingegen ist ein kratonischer Schild mit dicker Kruste, der über eine Milliarde Jahre alt ist. Hier hat das Mantelgestein noch in über 200 Kilometern Tiefe feste Eigenschaften.“

Die Darstellung der tiefen 3D-Erdstruktur unter der Antarktis erlaubt zudem neue Erkennt­nisse über die glazial-iso­statische Anpassung, erklärt Wouter van der Wal von der Technischen Universität Delft: „Diese Prozesse beschreiben, wie der Kontinent auf aktuelle und vergangene Veränderungen der Eisschilde reagiert und sie beeinflusst. In größerer Tiefe herrschen höhere Temperaturen, sodass sich Gesteine zähflüssig verhalten können. Das Gewicht des Eises drückt die festen Gesteinsmassen in den zähflüssigen Erdmantel. Schmelzen allerdings die Eisschilde ab, lässt auch der Druck auf das Festland nach, und die Erde hebt sich in diesem Gebiet.“ Außerdem fanden die Wissenschaftler große Temperatur­unterschiede im Erdmantel unterhalb des Antarktis. „Diese haben dazu geführt, dass sich verschiedene Regionen des Kontinents mit sehr unter­schiedlichen Geschwin­digkeiten gehoben und gesenkt haben – und dies auch heute tun“, so Wouter. Die neuen Informationen über die Struktur der Lithosphäre, insbesondere der Krusten­dicke, sind auch entscheidend für die Abschätzung des Wärmeflusses aus dem Erdinneren. Dieser bestimmt maßgeblich die Schmelzraten an der Eisschild­basis und damit die Fließ­geschwindigkeiten der Gletscher.

„Das sind natürliche Wechsel­wirkungen zwischen Eis und der festen Erde. Im Detail konnten diese Vorgänge in der Antarktis aufgrund bislang der fehlenden Erdmodelle nicht genauer untersucht werden”, ergänzt Pappa. Sein persönliches Highlight ist ein noch immer kaum erforschtes, über dreitausend Meter hohes subglaziales Gebirge in der Ost­antarktis: „Hier ist die feste Erde mit rund 260 Kilometern am mächtigsten. Das ist eine spannende Struktur, von der wir nicht wissen, wie sie genau aussieht, denn das Gebirge ist vollständig von Eis­schilden bedeckt.”

Gefördert wurde die Forschung im Rahmen der Projekte GOCE+Antarctica und 3D Earth durch die Europäische Weltraum­organisation. Das inter­nationale Konsortium beider Projekte besteht aus neun Institutionen in sechs europäischen Ländern. „3D Earth bietet uns verlockende neue geo­physikalische Erkenntnisse über die tiefe Struktur und Entwicklung des antarktischen Kontinents. Diese neuen Modelle der Dicke der Kruste und der Lithosphäre sind zum Beispiel entscheidend für das Verständnis der grund­legenden Zusammensetzung und tektonischen Architektur der Antarktis”, sagt Fausto Ferraccioli, leitender Geophysiker beim British Antarctic Survey. „Damit können wir auch die früheren Verbin­dungen Antarktikas zu anderen Kontinenten wie Australien, Afrika und Indien besser verstehen“, so Ferraccioli.

„Wir lernen die Antarktis erstmals richtig kennen”, so Ebbing. Neben der Temperatur­verteilung haben die Forscher auch andere Eigenschaften der festen Erde ermittelt, beispielsweise die Zusammen­setzung und die Dichte des Gesteins. Teil des Projekts ist ein beein­druckendes 3D-Modell der Antarktis, das von der Esa erstellt wurde. „Dies sind wichtige Ergebnisse auch bezogen auf unser Verständnis von der Veränderung des Meeresspiegels in Folge von Eisverlust aus der Antarktis. Wenn die Eismasse verloren geht, schwingt die feste Erde zurück und dieser Effekt muss bei den Volumen­änderungen des Eises berück­sichtigt werden. Dies kann genauer bestimmt werden, wenn die Struktur und Zusammen­setzung des Erdinneren besser bekannt ist“, sagt Roger Haagmans von der Esa.

CAU Kiel / JOL

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