22.06.2021

Alles wird Zahl

Thomas de Padova: Alles wird Zahl, Carl Hanser Verlag, München 2021, geb., 382 S., 25 €, ISBN 9783446269323

Thomas de Padova

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Thomas de Padova entführt mit seinem neuen Buch in die Zeit der ­Renaissance und belegt eindrucksvoll, dass das ausgehende 15. und das beginnende 16. Jahrhundert nicht nur prägend für die Kunst waren. Denn in diesen wenigen Jahrzehnten erfand sich auch die ­Mathematik neu – wie es bereits im Untertitel anklingt. 

In der Einführung greift er jene Umwälzungen kurz auf, denen er sich in den folgenden drei Abschnitten ausführlich widmen wird. Schon hier treten die Protagonisten auf, welche die weitere Lektüre prägen: Während Leonardo da Vinci oder Albrecht Dürer sicherlich einem breiten Publikum bekannt sind, gilt dies für Regiomontanus, Leonardo von Pisa, Girolamo Cardano und Michael Stifel wohl kaum. Welche Rolle jeder der sechs für die Umbrüche in der Mathematik gespielt hat, legt de Padova im Laufe der flüssig lesbaren und gleichzeitig kunstvoll erzählten Geschichte dar. 

Der Autor beginnt seine Zeitreise­ im Abschnitt „Zahlen und Zeichen“ in den 1460er-Jahren, wo wir Johannes Müller bei seinen Studien in Venedig über die Schulter schauen dürfen. Der aus dem fränkischen Königsberg stammende Gelehrte ist auch als Regio­montanus bekannt. Mit ihm erfahren wir, wie sich die indisch-­arabischen Ziffern einen Platz im ­europäischen Kulturgut eroberten.

Der Abschnitt „Proportionen und Perspektiven“ knüpft zunächst nicht nahtlos an. Vielmehr erlaubt sich de Padova nun den Blick auf die bekannten Errungenschaften der Renaissance in der Kunst, behält aber stets die Mathematik im Auge. Denn hinter der Zentralperspektive steckt antike Geometrie. Den Bogen zurück zur Algebra schlägt der Autor mit Proportionsstudien. Dabei unterstreicht er, dass diese Kombination von Messen und Katalogisieren in der Mechanik und Bewegungslehre eines Galileo Galilei ihr Pendant in Experiment und Theorie findet. 

Zu Beginn von „Algorithmen und Algebra“ finden wir uns in den 1530er-Jahren wieder, wo der Pfarrer Michael Stifel zunächst mit der präzisen Vorhersage des Weltuntergangs baden geht, um anschließend als Autodidakt so tief in die Algebra einzutauchen, dass es nötig wird, die uns bekannten Rechenzeichen +, – und √ zu erfinden und zu verbreiten. Sein italienisches Gegenüber ist Girolamo Cardano, der beim Lösen quadratischer und kubischer Gleichungen nicht umhin kommt, den Begriff der Zahl immer wieder zu erweitern. Was heute in der Schule oft trocken als Erweiterung des Zahlraums unterrichtet wird, liest sich hier wie ein Krimi. Dabei betont der Autor wie auch in den Abschnitten zuvor, dass viele der Innovationen darauf beruhten, das griechische und arabische Erbe der Mathematik zusammenzuführen. 

Das Ende dieser Epoche deutsch-italienischer Innovationen verankert Thomas de Padova im Schluss­abschnitt am Beginn der Gegen­reformation. Erst die Schwelle zum 17. Jahrhundert habe in Frankreich, den Niederlanden oder England wieder ähnlich Revolutionäres hervorgebracht. Den schönen Band runden ein Literaturverzeichnis mit mehr als 250 Einträgen und ein ausführliches Register ab. Thomas de Padova hat mit „Alles wird Zahl“ nicht nur gezeigt, wie wichtig die Renaissance für die weitere Entwicklung der Mathematik in Europa war, sondern auch wie gut sich dies in einem spannend geschriebenen Text wissenschafts­historisch darstellen lässt.

Kerstin Sonnabend


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